Arthur Schopenhauer

Ueber Schriftstellerei und Stil

(Kapitel XXIII von Parerga und Paralipomena II)

Text folgt wort- und zeichengetreu(*) der autorisierten Ausgabe letzter Hand:
Erstausgabe Berlin, A. W. Hayn 1851

(Quelle: Internet http://www.avenarius.sk/schopenhauer/parerga2/stil.htm)

 

§. 272.

Zuvörderst giebt es zweierlei Schriftsteller: solche, die der Sache wegen, und solche, die des Schreibens wegen schreiben. Jene haben Gedanken gehabt, oder Erfahrungen gemacht, die ihnen mittheilenswerth scheinen; Diese brauchen Geld, und deshalb schreiben sie, für Geld. Sie denken zum Behuf des Schreibens. Man erkennt sie daran, daß sie ihre Gedanken möglichst lang ausspinnen und auch halbwahre, schiefe, forcirte und schwankende Gedanken ausführen, auch meistens das Helldunkel lieben, um zu scheinen was sie nicht sind; weshalb ihrem Schreiben Bestimmtheit und volle Deutlichkeit abgeht. Man kann daher bald merken, daß sie um Papier zu füllen schreiben: bei unsern besten Schriftstellern kann man es mitunter: z.B. stellenweise in Lessings Dramaturgie. Sobald man es merkt, soll man das Buch wegwerfen: denn die Zeit ist edel. – Honorar und Verbot des Nachdrucks sind im Grunde der Verderb der Litteratur. Schreibenswerthes schreibt nur wer ganz allein der Sache wegen schreibt. Welch ein unschätzbarer Gewinn würde es seyn, wenn, in allen Fächern einer Litteratur, nur wenige, aber vortreffliche Bücher existirten. Dahin aber kann es nie kommen, so lange Honorar zu verdienen ist.

 

§. 273.

Wiederum kann man sagen, es gebe dreierlei Autoren: erstlich solche, welche schreiben, ohne zu denken. Sie schreiben aus dem Gedächtniß, aus Reminiscenzen, oder gar unmittelbar aus fremden Büchern. Diese Klasse ist die zahlreichste. – Zweitens solche, die während des Schreibens denken. Sie denken, um zu schreiben. Sind sehr häufig. – Drittens solche, die gedacht haben, ehe sie ans Schreiben giengen. Sie schreiben bloß, weil sie gedacht haben. Sind selten.

Jener Schriftsteller der zweiten Art, der das Denken bis zum Schreiben aufschiebt, ist dem Jäger zu vergleichen, der aufs Gerathewohl ausgeht: er wird schwerlich sehr viel nach Hause bringen. Hingegen wird das Schreiben des Schriftstellers der dritten, seltenen Art, einer Treibjagd gleichen, als zu welcher das Wild zum voraus eingefangen und eingepfercht worden, um nachher haufenweise aus solchem Behältnisse herauszuströmen in einen andern ebenfalls umzäunten Raum, wo es dem Jäger nicht entgehn kann; so daß er jetzt es bloß mit dem Zielen und Schießen (der Darstellung) zu thun hat. Dies ist die Jagd, welche etwas abwirft. –

Sogar nun aber unter der kleinen Anzahl von Schriftstellern, die wirklich, ernstlich und zum voraus denken, sind wieder nur äußerst wenige, welche über die Dinge selbst denken: die übrigen denken bloß über Bücher, über das von Andern Gesagte. Sie bedürfen nämlich, um zu denken, der nahem und stärkern Anregung durch fremde, gegebene Gedanken. Diese werden nun ihr nächstes Thema; daher sie stets unter dem Einflüsse derselben bleiben, folglich nie eigentliche Originalität erlangen. Jene ersteren hingegen werden durch die Dinge selbst zum Denken angeregt; daher ihr Denken unmittelbar auf diese gerichtet ist. Unter ihnen allein sind Die zu finden, welche bleiben und unsterblich werden. – Es versteht sich, daß hier von hohen Fächern die Rede ist, nicht von Schriftstellern über das Branntweinbrennen.

Nur wer bei Dem, was er schreibt, den Stoff unmittelbar aus seinem eigenen Kopfe nimmt, ist werth, daß man ihn lese. Aber Büchermacher, Kompendienschreiber, gewöhnliche Historiker u.a.m. nehmen den Stoff unmittelbar aus Büchern: aus diesen geht er in die Finger, ohne im Kopf auch nur Transitozoll und Visitation, geschweige Bearbeitung, erlitten zu haben. Daher hat ihr Gerede oft so unbestimmten Sinn, daß man vergeblich sich den Kopf zerbricht, herauszubringen, was sie denn am Ende denken. Sie denken eben gar nicht. Das Buch, aus dem sie abschreiben, ist bisweilen eben so verfaßt: also ist es mit dieser Schriftstellerei, wie mit Gypsabdrücken von Abdrücken von Abdrücken u.s.f., wobei am Ende der Antinous zum kaum kenntlichen Umriß eines Gesichtes wird. Daher soll man Kompilatoren möglichst selten lesen: denn es ganz zu vermeiden ist schwer; indem sogar die Kompendien, welche das im Laufe vieler Jahrhunderte zusammengebrachte Wissen im engen Raum enthalten, zu den Kompilationen gehören.

Wer über einen Gegenstand sich belehren will, hüte sich, sogleich nur nach den neuesten Büchern darüber zu greifen, in der Voraussetzung, daß bei Abfassung dieser die altern benutzt worden seien. Das sind sie wohl; aber wie? Der Schreiber versteht oft die altern nicht gründlich, will dabei doch nicht geradezu ihre Worte gebrauchen, verballhornt und verhunzt daher das von ihnen sehr viel besser und deutlicher Gesagte; da sie aus eigener und lebendiger Sachkenntniß geschrieben haben. Zudem will er es wohl noch gar besser verstehn, als sie, und setzt seine Irrthümer an die Stelle ihrer Wahrheiten. Hieher gehören auch die Uebersetzer, welche ihren Autor zugleich berichtigen und bearbeiten; welches mir stets impertinent vorkommt. Schreibe du selbst Bücher, welche des Uebersetzens werth sind und laß’ Anderer Werke wie sie sind. – Man lese also, wo möglich, die eigentlichen Urheber, Begründer und Erfinder der Sachen, oder wenigstens die anerkannten großen Meister des Fachs, und kaufe lieber die Bücher aus zweiter Hand, als ihren Inhalt. Weil aber freilich inventis aliquid addere facile est(1), so wird man, nach wohlgelegtem Grunde, mit den neueren Zuthaten sich bekannt zu machen haben. Im Ganzen also gilt hier, wie überall, diese Regel: das Neue ist selten das Gute; weil das Gute nur kurze Zeit das Neue ist.

 

§. 274.

Ein Buch kann nie mehr seyn, als der Abdruck der Gedanken des Verfassers. Der Werth dieser Gedanken liegt entweder im Stoff, also in Dem, worüber er gedacht hat; oder in der Form, d.h. der Bearbeitung des Stoffs, also in Dem, was er darüber gedacht hat. Das Worüber ist gar mannigfaltig, und eben so die Vorzüge, welche es den Büchern ertheilt. Aller empirische Stoff, also alles historisch, oder physisch, Thatsächliche, an sich selbst und im weitesten Sinne genommen, gehört hieher. Das Eigenthümliche liegt dabei im Objekt; daher das Buch wichtig seyn kann, wer auch immer der Verfasser sei.

Beim Was hingegen liegt das Eigenthümliche im Subjekt. Die Gegenstände können solche seyn, welche allen Menschen zugänglich und bekannt sind: aber die Form der Auffassung, das Was des Denkens, ertheilt hier den Werth und liegt im Subjekt. Ist daher ein Buch von dieser Seite vortrefflich und ohne Gleichen; so ist es sein Verfasser auch. Hieraus folgt, daß das Verdienst eines lesenswerthen Schriftstellers um so größer ist, je weniger es dem Stoffe verdankt, mithin sogar, je bekannter und abgenutzter dieser ist. So z.B. haben die drei großen griechischen Tragiker sämmtlich den selben Stoff bearbeitet.

Also soll man, wenn ein Buch berühmt ist, wohl unterscheiden, ob wegen des Stoffs, oder wegen der Form.

Ganz gewöhnliche und platte Menschen können, vermöge des Stoffs, sehr wichtige Bücher liefern, indem derselbe gerade nur ihnen zugänglich war: z.B. Beschreibungen ferner Länder, seltener Naturerscheinungen, angestellter Versuche, Geschichte, deren Zeuge sie gewesen, oder deren Quellen aufzusuchen und speciell zu studiren sie Mühe und Zeit verwendet haben.

Hingegen wo es auf die Form ankommt, indem der Stoff Jedem zugänglich, oder gar schon bekannt ist; wo also nur das Was des Denkens über denselben der Leistung Werth geben kann; da vermag nur der eminente Kopf etwas Lesenswerthes zu liefern. Denn die Uebrigen werden allemal nur Das denken, was jeder Andere auch denken kann. Sie geben den Abdruck ihres Geistes: aber von dem besitzt Jeder schon selbst das Original.

Das Publikum jedoch wendet seine Theilnahme sehr viel mehr dem Stoff, als der Form zu, und bleibt eben dadurch in seiner höheren Bildung zurück.

Das diesem schlechten Hange fröhnende Unternehmen, durch den Stoff zu wirken, wird absolut verwerflich in Fächern, wo das Verdienst ausdrücklich in der Form liegen soll, – also in den poetischen. Dennoch sieht man häufig schlechte dramatische Schriftsteller bestrebt, mittelst des Stoffes das Theater zu füllen: so z.B. bringen sie jeden irgend berühmten Mann, so nackt an dramatischen Vorgängen sein Leben auch gewesen seyn mag, auf die Bühne, ja, bisweilen ohne auch nur abzuwarten, daß die mit ihm auftretenden Personen gestorben seien.

 

§. 275.

Das eigentliche Leben eines Gedankens dauert nur bis er an den Gränzpunkt der Worte angelangt ist: da petrificirt er, ist fortan todt, aber unverwüstlich, gleich den versteinerten Thieren und Pflanzen der Vorwelt. Auch dem des Krystalls, im Augenblick des Anschießens, kann man sein momentanes eigentliches Leben vergleichen.

Sobald nämlich unser Denken Worte gefunden hat, ist es schon nicht mehr innig, noch im tiefsten Grunde ernst. Wo es anfangt für Andere dazuseyn, hört es auf, in uns zu leben; wie das Kind sich von der Mutter ablöst, wann es ins eigene Daseyn tritt. Sagt doch auch der Dichter:

»Ihr müßt mich nicht durch Widerspruch verwirren!
Sobald man spricht, beginnt man schon zu irren.« (2)
 

§. 276.

Die Feder ist dem Denken was der Stock dem Gehn: aber der leichteste Gang ist ohne Stock und das vollkommenste Denken geht ohne Feder vor sich. Erst wenn man anfängt alt zu werden, bedient man sich gern des Stockes und gern der Feder.

 

§. 277.

Eine Hypothese führt in dem Kopfe, in welchem sie ein Mal Platz gewonnen hat, oder gar geboren ist, ein Leben, welches insofern dem eines Organismus gleicht, als sie von der Außenwelt nur das ihr Gedeihliche und Homogene aufnimmt, hingegen das ihr Heterogene und Verderbliche entweder gar nicht an sich kommen läßt, oder, wenn es ihr unvermeidlich zugeführt wird, es ganz unversehrt wieder excernirt.

 

§. 278.

Die Satire soll, gleich der Algebra, bloß mit abstrakten und unbestimmten, nicht mit konkreten Werthen, oder benannten Größen operiren; und an lebendigen Menschen darf man sie so wenig, wie die Anatomie, ausüben; bei Strafe seiner Haut und seines Lebens nicht sicher zu seyn.

 

§. 279.

Um unsterblich zu seyn, muß ein Werk so viele Trefflichkeiten haben, daß nicht leicht sich Einer findet, der sie alle faßt und schätzt; jedoch allezeit diese Trefflichkeit von Diesem, jene von Jenem erkannt und verehrt wird; wodurch der Kredit des Werkes, den langen Lauf der Jahrhunderte hindurch, und bei stets wechselndem Interesse, sich doch erhält, indem es bald in diesem, bald in jenem Sinne verehrt und nie erschöpft wird. – Der Urheber eines solchen aber, also Der, welcher auf ein Bleiben und Leben noch bei der Nachwelt Anspruch hat, kann nur ein Mensch seyn, der nicht bloß unter seinen Zeitgenossen, auf der weiten Erde, seines Gleichen vergeblich sucht und von jedem Andern, durch eine sehr merkliche Verschiedenheit, augenfällig absticht; sondern der, wenn er sogar, wie der ewige Jude, mehrere Generationen durchwanderte, sich dennoch im selben Falle befinden würde; kurz, Einer, von dem das Ariostische lo fece natura, e poi ruppe lo stampo(3) wirklich gilt. Denn sonst wäre nicht einzusehn, warum seine Gedanken nicht untergehn sollten, wie alle andern.

 

§. 280.

Zu fast jeder Zeit ist, wie in der Kunst, so auch in der Litteratur, irgend eine falsche Grundansicht, oder Weise, oder Manier, im Schwange und wird bewundert. Die gemeinen Köpfe sind eifrig bemüht, solche sich anzueignen und sie zu üben. Der Einsichtige erkennt und verschmäht sie: er bleibt außer der Mode. Aber nach einigen Jahren kommt auch das Publikum dahinter und erkennt die Fakse für Das, was sie ist, verlacht sie jetzt, und die bewunderte Schminke aller jener manierirten Werke fällt ab, wie eine schlechte Gypsverzierung von der damit bekleideten Mauer: und wie diese stehn sie alsdann da.

 

§. 281.

Gegen die gewissenlose Tintenklexerei unserer Zeit und gegen die demnach immer höher steigende Sündfluth unnützer und schlechter Bücher sollten die Litteraturzeitungen der Damm seyn, indem solche, unbestechbar, gerecht und strenge urtheilend, jedes Machwerk eines Unberufenen, jede Schreiberei, mittelst welcher der leere Kopf dem leeren Beutel zu Hülfe kommen will, folglich wohl 9/10 aller Bücher, schonungslos geißelten und dadurch pflichtgemäß dem Schreibekitzel und der Prellerei entgegenarbeiteten, statt solche dadurch zu befördern, daß ihre niederträchtige Toleranz im Bunde steht mit Autor und Verleger, um dem Publiko Zeit und Geld zu rauben. Ist, oder war, etwan Eine unter ihnen, welche sich rühmen kann, nie die nichtswürdigste Schreiberei gelobt, nie das Vortreffliche getadelt und herabgesetzt, oder verschmitzterweise, um die Blicke davon abzulenken, es als unbedeutend behandelt zu haben? ist Eine, welche stets die Auswahl des Anzuzeigenden gewissenhaft nach der Wichtigkeit der Bücher, und nicht nach Gevatterrekommendationen, kollegialischen Rücksichten, oder gar Verlegerschmiergeld, getroffen hat? Sieht nicht Jeder, der kein Neuling ist, sobald er ein Buch stark gelobt, oder sehr getadelt findet, fast mechanisch sogleich zurück nach der Verlegerfirma? Bestände hingegen eine Litteraturzeitung, wie die oben verlangte; so würde jedem schlechten Schriftsteller, jedem geistlosen Kompilator, jedem Abschreiber aus fremden Büchern, jedem hohlen, unfähigen, anstellungshungrigen Philosophaster, jedem verblasenen, ekeln Poetaster, die Aussicht auf den Pranger, an welchem sein Machwerk nun bald und unfehlbar zu stehn hätte, die juckenden Schreibefinger lahmen, zum wahren Heil der Litteratur, als in welcher das Schlechte nicht etwan bloß unnütz, sondern positiv verderblich ist. Nun aber sind die allermeisten Bücher schlecht und hätten sollen ungeschrieben bleiben: folglich sollte das Lob so selten seyn, wie es jetzt, unter dem Einfluß persönlicher Rücksichten und der Maxime accedas socius, laudes lauderis ut absens(4), der Tadel ist. Es ist durchaus falsch, die Toleranz, welche man gegen stumpfe, hirnlose Menschen, in der Gesellschaft, die überall von ihnen wimmelt, nothwendig haben muß, auch auf die Litteratur übertragen zu wollen. Denn hier sind sie unverschämte Eindringlinge, und hier das Schlechte herabzusetzen ist Pflicht gegen das Gute: denn wem nichts für schlecht gilt, dem gilt auch nichts für gut. Freilich könnte eine Litteraturzeitung, wie ich sie will, nur von Leuten geschrieben werden, in welchen unbestechbare Redlichkeit mit seltenen Kenntnissen und noch seltenerer Urtheilskraft vereint wäre: demnach könnte ganz Deutschland allerhöchstens und kaum eine solche Litteraturzeitung zu Stande bringen, die dann aber dastehn würde als ein gerechter Areopag, und zu der jedes Mitglied von den sämmtlichen Andern gewählt seyn müßte; statt daß jetzt die Litteraturzeitungen von Universitätsgilden, oder Litteratenkliquen, im Stillen vielleicht gar von Buchhändlern, zum Nutzen des Buchhandels, betrieben werden und, in der Regel, einige Koalitionen schlechter Köpfe zum Nichtaufkommenlassen des Guten enthalten. Nirgends ist mehr Unredlichkeit, als in der Litteratur: das sagte schon Göthe, wie ich im »Willen in der Natur« S. 22 des Näheren berichtet habe.

Vor allen Dingen daher müßte jenes Schild aller litterarischen Unredlichkeit, die Anonymität, dabei wegfallen. In Litteraturzeitungen hat zu ihrer Einführung der Vorwand gedient, daß sie den redlichen Recensenten, den Warner des Publikums, schützen sollte gegen den Groll des Autors und seiner Gönner. Allein, gegen Einen Fall dieser Art, werden hundert seyn, wo sie bloß dient, Den, der was er sagt nicht vertreten kann, aller Verantwortlichkeit zu entziehn, oder wohl gar, die Schande Dessen zu verhüllen, der feil und niederträchtig genug ist, für ein Trinkgeld vom Verleger, ein schlechtes Buch dem Publiko anzupreisen. Oft auch dient sie bloß, die Obskurität und Unbedeutsamkeit des Urtheilenden zu bedecken.

Schon Rousseau hat, in der Vorrede zur Neuen Heloise, gesagt: tout honnête homme doit avouer les livres qu’il publie.(5) Wie viel mehr noch gilt dies von polemischen Schriften, wie doch Recensionen meistens sind! weshalb Riemer ganz Recht hat, wenn er in seinen »Mittheilungen über Göthe«, S. XXIX der Vorrede sagt: »Ein offener, dem Gesicht sich stellender Gegner ist ein ehrlicher, gemäßigter, einer mit dem man sich verständigen, vertragen, aussöhnen kann; ein versteckter hingegen ist ein niederträchtiger, feiger Schuft, der nicht so viel Herz hat, sich zu Dem zu bekennen, was er urtheilt, dem also nicht ein Mal etwas an seiner Meinung liegt, sondern nur an der heimlichen Freude, unerkannt und ungestraft sein Müthchen zu kühlen.« Dies wird eben auch Göthe’s Meinung gewesen seyn: denn die sprach meistens aus Riemern. Ueberhaupt aber gilt Rousseau’s Regel von jeder Zeile, die zum Drucke gegeben wird. Würde man es leiden, wenn ein maskirter Mensch das Volk harrangiren, oder sonst vor einer Versammlung reden wollte? und gar wenn er dabei Andere angriffe und mit Tadel überschüttete? würden nicht alsbald seine Schritte zur Thür hinaus von fremden Fußtritten beflügelt werden?

Die in Deutschland endlich erlangte und sogleich auf das Ehrloseste mißbrauchte Preßfreiheit sollte wenigstens durch ein Verbot aller und jeder Anonymität und Pseudonymität bedingt seyn, damit Jeder für Das, was er durch das weitreichende Sprachrohr der Presse öffentlich verkündet, wenigstens mit seiner Ehre verantwortlich wäre, wenn er noch eine hat; und wenn keine, damit sein Name seine Rede neutralisirte. Ist denn nicht die Anonymität die feste Burg aller litterarischen, zumal publicistischen Schurkerei? Sie muß also eingerissen werden, bis auf den Grund, d.h. so, daß selbst jeder Zeitungsartikel überall vom Namen des Abfassers begleitet seyn solle, unter schwerer Verantwortlichkeit des Redakteurs für die Richtigkeit der Unterschrift. Dadurch würden, weil auch der Unbedeutendeste doch in seinem Wohnorte gekannt ist, zwei Drittheile der Zeitungslügen wegfallen und die Frechheit mancher Giftzunge in Schranken gehalten werden. In Frankreich greift man eben jetzt die Sache so an.

In der Litteratur aber sollten, so lange jenes Verbot nicht existirt, alle redlichen Schriftsteller sich vereinigen, die Anonymität durch das Brandmark der öffentlich und täglich ausgesprochenen äußersten Verachtung zu proskribiren. Wer anonym schreibt und polemisirt, hat eo ipso die Präsumtion gegen sich, daß er das Publikum betrügen, oder ungefährdet Anderer Ehre antasten will. Daher sollte jede, selbst die ganz beiläufige und außerdem nicht tadelnde Erwähnung eines anonymen Recensenten nur mittelst Epitheta, wie »der feige anonyme Lump da und da«, oder »der verkappte anonyme Schuft in jener Zeitschrift« u. s. f. geschehn. Dies ist wirklich der anständige und passende Ton, von solchen Gesellen zu reden, damit ihnen das Handwerk verleidet werde. Denn offenbar kann auf irgend welche persönliche Achtung Jeder doch nur in so fern Anspruch haben, als er sehn läßt, wer er sei, damit man wisse, wen man vor sich habe; nicht aber wer verkappt und vermummt einherschleicht und sich dabei unnütz macht: vielmehr ist ein Solcher ipso facto vogelfrei. Er ist Οδυσσευς Ουτις, Mr. Nobody (Herr Niemand), und Jedem steht es frei, zu erklären, daß Mr. Nobody ein Schuft sei. Und wenn nun nachmals Einer sich das Verdienst erwirbt, so einem durch die Spießruthen gelaufenen Gesellen die Nebelkappe abzuziehn und ihn, beim Ohr gefaßt, heranzuschleppen; so wird die Nachteule bei Tage großen Jubel erregen. – Bei jeder mündlichen Verläumdung, die man vernimmt, äußert der erste Ausbruch der Indignation, in der Regel, sich durch ein »Wer sagt Das?« – Aber da bleibt die Anonymität die Antwort schuldig.

 

§. 282.

Der Stil ist die Physiognomie des Geistes. Sie ist untrüglicher, als die des Leibes. Fremden Stil nachahmen heißt eine Maske tragen. Wäre diese auch noch so schön, so wird sie, durch das Leblose, bald insipid und unerträglich; so daß selbst das häßlichste lebendige Gesicht besser ist. Darum gleichen denn auch die lateinisch schreibenden Schriftsteller, welche den Stil der Alten nachahmen, doch eigentlich den Masken: man hört nämlich wohl was sie sagen; aber man sieht nicht auch dazu ihre Physiognomie, den Stil. Wohl aber sieht man auch diese in den lateinischen Schriften der Selbstdenker, als welche sich zu jener Nachahmung nicht bequemt haben, wie z.B. Skotus Erigena, Petrarka, Bako, Kartesius, Spinoza, Hobbes u.a.m.

Affektation im Stil ist dem Gesichterschneiden zu vergleichen. – Die Sprache, in welcher man schreibt, ist die Nationalphysiognomie: sie stellt große Unterschiede fest, – von der Griechischen bis zur Karaibischen.

 

§. 283.

Um über den Werth der Geistesprodukte eines Schriftstellers eine vorläufige Schätzung anzustellen, ist es nicht gerade nothwendig, zu wissen, worüber, oder was er gedacht habe; dazu wäre erfordert, daß man alle seine Werke durchläse; – sondern zunächst ist es hinreichend, zu wissen, wie er gedacht habe. Von diesem wie des Denkens nun, von dieser wesentlichen Beschaffenheit und durchgängigen Qualität desselben, ist ein genauer Abdruck sein Stil. Dieser zeigt nämlich die formelle Beschaffenheit aller Gedanken eines Menschen, welche sich stets gleich bleiben muß; was und worüber er auch denken möge. Man hat daran gleichsam den Teig, aus dem er alle seine Gestalten knetet, so verschieden sie auch seyn mögen. Wie daher Eulenspiegel dem Fragenden, wie lange er, bis zum nächsten Orte, noch zu gehn habe, die scheinbar ungereimte Antwort gab »Gehe!«, in der Absicht, erst aus seinem Gange zu ermessen, wie weit er, in einer gegebenen Zeit, kommen würde; so lese ich aus einem Autor ein Paar Seiten, und weiß dann schon ungefähr, wie weit er mich fördern kann.

Im stillen Bewußtseyn dieses Bewandnisses der Sache, sucht jeder Mediokre seinen, ihm eigenen und natürlichen Stil zu maskiren. Dies nöthigt ihn zunächst auf alle Naivetät zu verzichten; so daß diese das Vorrecht der überlegenen und sich selbst fühlenden, daher mit Sicherheit auftretenden Geister bleibt. Jene Alltagsköpfe nämlich können schlechterdings sich nicht entschließen, zu schreiben, wie sie denken; weil ihnen ahndet, daß alsdann das Ding ein gar einfältiges Ansehn erhalten könnte. Es wäre aber immer doch etwas. Wenn sie also nur ehrlich zu Werke gehn und das Wenige und Gewöhnliche, was sie wirklich gedacht haben, so wie sie es gedacht haben, einfach mittheilen wollten; so würden sie lesbar und sogar, in der ihnen angemessenen Sphäre, belehrend seyn. Allein, statt Dessen, streben sie nach dem Schein, viel mehr und tiefer gedacht zu haben, als der Fall ist. Sie bringen demnach was sie zu sagen haben in gezwungenen, schwierigen Wendungen, neu geschaffenen Wörtern und weitläuftigen, um den Gedanken herumgehenden und ihn verhüllenden Perioden vor. Sie schwanken zwischen dem Bestreben, denselben mitzutheilen, und dem, ihn zu verstecken. Sie möchten ihn so aufstutzen, daß er ein gelehrtes, oder tiefsinniges Ansehn erhielte, damit man denke, es stecke viel mehr dahinter, als man zur Zeit gewahr wird. Demnach werfen sie ihn bald stückweise hin, in kurzen, vieldeutigen und paradoxen Aussprüchen, die viel mehr anzudeuten scheinen, als sie besagen (herrliche Beispiele dieser Art liefern Schellings naturphilosophische Schriften); bald wieder bringen sie ihren Gedanken unter einem Schwall von Worten vor, mit der unerträglichsten Weitschweifigkeit, als brauchte es Wunder welche Anstalten, den tiefen Sinn desselben verständlich zu machen, – während es ein ganz simpler Einfall, wo nicht gar eine Trivialität ist (Fichte, in seinen populären Schriften und hundert elende, nicht nennenswerthe Strohköpfe, in ihren philosophischen Lehrbüchern, liefern Beispiele in Fülle); oder aber sie befleißigen sich irgend einer beliebig angenommenen, vornehm seyn sollenden Schreibart, z.B. einer so recht κατ’ εξοχην(6) gründlichen und wissenschaftlichen, wo man dann von der narkotischen Wirkung lang gesponnener, gedankenleerer Perioden zu Tode gemartert wird; (Beispiele hievon geben besonders jene unverschämtesten aller Sterblichen, die Hegelianer, in der Hegelzeitung, vulgo Jahrbücher der wissenschaftlichen Litteratur); oder gar sie haben es auf eine geistreiche Schreibart abgesehn, wo sie dann verrückt werden zu wollen scheinen, u. dgl. m. Alle solche Bemühungen, durch welche sie das nascetur ridiculus mus(7) hinauszuschieben suchen, machen es oft schwer, aus ihren Sachen herauszubringen, was sie denn eigentlich wollen. Zudem aber schreiben sie auch Worte, ja, ganze Perioden hin, bei denen sie selbst nichts denken, jedoch hoffen, daß ein Andrer etwas dabei denken werde. Allen solchen Anstrengungen liegt nichts Anderes zum Grunde, als das unermüdliche, stets auf neuen Wegen sich versuchende Bestreben, Worte für Gedanken zu verkaufen, und, mittelst neuer, oder in neuem Sinne gebrauchter Ausdrücke, Wendungen und Zusammensetzungen jeder Art, den Schein des Geistes hervorzubringen, um den so schmerzlich gefühlten Mangel desselben zu ersetzen. Belustigend ist es, zu sehn, wie, zu diesem Zwecke, bald diese bald jene Manier versucht wird, um sie als eine den Geist vorstellende Maske vorzunehmen, welche dann auch wohl auf eine Weile die Unerfahrenen täuscht, bis auch sie eben als todte Maske erkannt, verlacht und dann gegen eine andere vertauscht wird. Da sieht man die Schriftsteller bald dithyrambisch, wie besoffen, und bald, ja schon auf der nächsten Seite, hochtrabend-, ernst-, gründlich-gelehrt, bis zur schwerfälligsten, kleinkauendesten Weitschweifigkeit, gleich der des weiland Christian Wolff, wiewohl im modernen Gewände. Am längsten aber hält die Maske der Unverständlichkeit vor, jedoch nur in Deutschland, als wo sie, von Fichte eingeführt, von Schelling vervollkommnet, endlich in Hegel ihren höchsten Klimax erreicht hat: stets mit glücklichstem Erfolge. Und doch ist nichts leichter, als so zu schreiben, daß kein Mensch es versteht; wie hingegen nichts schwerer, als bedeutende Gedanken so auszudrücken, daß Jeder sie verstehn muß. Alle oben angeführten Künste nun aber macht die wirkliche Anwesenheit des Geistes entbehrlich: denn sie erlaubt, daß man sich zeige, wie man ist, und bestätigt allezeit den Ausspruch des Horaz:

scribendi recte sapere est et principium et fons.(8)

Jene aber machen es wie gewisse Metallarbeiter, welche hundert verschiedene Kompositionen versuchen, die Stelle des einzigen, ewig unersetzlichen Goldes zu vertreten. Vielmehr aber sollte, ganz im Gegentheil, ein Autor sich vor nichts mehr hüten, als vor dem sichtbaren Bestreben, mehr Geist zeigen zu wollen, als er hat; weil Dies im Leser den Verdacht erweckt, daß er dessen sehr wenig habe, da man immer und in jeder Art nur Das affektirt, was man nicht wirklich besitzt. Eben deshalb ist es ein Lob, wenn man einen Autor naiv nennt; indem es besagt, daß er sich zeigen darf, wie er ist. Ueberhaupt zieht das Naive an: die Unnatur hingegen schreckt überall zurück. Auch sehn wir jeden wirklichen Denker bemüht, seine Gedanken so rein, deutlich, sicher und kurz, wie nur möglich, auszusprechen. Demgemäß ist Simplicität stets ein Merkmal, nicht allein der Wahrheit, sondern auch des Genies gewesen. Der Stil erhält die Schönheit vom Gedanken; statt daß, bei jenen Scheindenkern, die Gedanken durch den Stil schön werden sollen. Ist doch der Stil der bloße Schattenriß des Gedankens: undeutlich, oder schlecht schreiben, heißt dumpf, oder konfus denken.

Daher nun ist die erste, ja, schon für sich allein beinahe ausreichende Regel des guten Stils diese, dass man etwas zu sagen habe: o, damit kommt man weit! Aber die Vernachlässigung derselben ist ein Grundcharakterzug der philosophischen und überhaupt aller reflektirenden Schriftsteller in Deutschland, besonders seit Fichte. Allen solchen Schreibern nämlich ist anzumerken, daß sie etwas zu sagen scheinen wollen, während sie nichts zu sagen haben. Diese durch die Pseudophilosophen der Universitäten eingeführte Weise kann man durchgängig und selbst bei den ersten litterarischen Notabilitäten der Zeitperiode beobachten. Sie ist die Mutter des geschrobenen, vagen, zweideutigen, ja, vieldeutigen Stils, imgleichen des weitläuftigen und schwerfälligen, des stile empesé(9), nicht weniger des unnützen Wortschwalls, endlich auch des Versteckens der bittersten Gedankenarmuth unter ein unermüdliches, klappermühlenhaftes, betäubendes Gesaalbader, daran man stundenlang lesen kann, ohne irgend eines deutlich ausgeprägten und bestimmten Gedankens habhaft zu werden. Von dieser Art und Kunst liefern jene berüchtigten »Halle’schen«, nachher »Deutschen Jahrbücher« fast durchweg auserlesene Muster. – Inzwischen hat die deutsche Gelassenheit sich gewöhnt, dergleichen Wortkram jeder Art, Seite nach Seite zu lesen, ohne sonderlich zu wissen, was der Schreiber eigentlich will: sie meint eben, Das gehöre sich so, und kommt nicht dahinter, daß er bloß schreibt, um zu schreiben. Ein guter, gedankenreicher Schriftsteller hingegen erwirbt sich bei seinem Leser bald den Kredit, daß er im Ernst und wirklich etwas zu sagen habe, wann er spricht: und Dies giebt dem verständigen Leser die Geduld, ihm aufmerksam zu folgen. Ein solcher Schriftsteller wird auch, eben weil er wirklich etwas zu sagen hat, sich stets auf die einfachste und entschiedenste Weise ausdrücken; weil ihm daran liegt, gerade den Gedanken, den er jetzt hat, auch im Leser zu erwecken und keinen andern. Demnach wird er mit Boileau sagen dürfen:

 

Ma pensée au grand jour partout s’offre et s’expose,
Et mon vers, bien ou mal, dit toujours quelque chose; (10)

während von jenen vorher Geschilderten das et qui parlant beaucoup ne disent jamais rien(11) desselben Dichters gilt. Zur Charakteristik derselben gehört nun auch Dies, daß sie, wo möglich, alle entschiedenen Ausdrücke vermeiden, um nöthigenfalls immer noch den Kopf aus der Schlinge ziehn zu können: daher wählen sie in allen Fällen den abstrakteren Ausdruck; Leute von Geist hingegen den konkreteren; weil dieser die Sache der Anschaulichkeit näher bringt, welche die Quelle aller Evidenz ist. Jene Vorliebe für das Abstrakte läßt sich durch viele Beispiele belegen: ein besonders lächerliches aber ist dieses, daß man in der Deutschen Schriftstellerei dieser letzten zehn Jahre fast überall, wo »bewirken«, oder »verursachen« stehn sollte, »bedingen« findet; weil Dies, als abstrakter und unbestimmter, weniger besagt (nämlich »nicht ohne Dieses« statt »durch Dieses«) und daher immer noch Hinterthürchen offen läßt, die Denen gefallen, welchen das stille Bewußtseyn ihrer Unfähigkeit eine beständige Furcht vor allen entschiedenen Ausdrücken einflößt. Bei Andern jedoch wirkt hier bloß der nationale Hang, in der Litteratur jede Dummheit, wie im Leben jede Ungezogenheit, sogleich nachzuahmen, welcher durch das schnelle Umsichgreifen Beider belegt wird; während ein Engländer, bei Dem, was er schreibt, wie bei Dem, was er thut, sein eigenes Urtheil zu Rathe zieht: Dies ist im Gegentheil Niemanden weniger nachzurühmen, als dem Deutschen. In Folge des besagten Hergangs sind die Worte »bewirken« und »verursachen« aus der Büchersprache der letzten 10 Jahre fast ganz verschwunden und überall ist bloß von »bedingen« die Rede. Die Sache ist, des charakteristisch Lächerlichen wegen, erwähnenswerth.

Man könnte die Geistlosigkeit und Langweiligkeit der Schriften der Alltagsköpfe sogar daraus ableiten, daß sie immer nur mit halbem Bewußtseyn reden, nämlich den Sinn ihrer eigenen Worte nicht selbst eigentlich verstehn, da solche bei ihnen ein Erlerntes und fertig Aufgenommenes sind; daher sie mehr die ganzen Phrasen (phrases banales) als die Worte zusammengefügt haben. Leute von Geist hingegen reden, in ihren Schriften, wirklich zu uns, und daher vermögen sie, uns zu beleben und zu unterhalten: nur sie stellen die einzelnen Worte mit vollem Bewußtseyn, mit Wahl und Absicht zusammen. Daher verhält ihr Vortrag sich zu dem der oben Geschilderten wie ein wirklich gemaltes Bild zu einem mit Schablonen verfertigten: dort nämlich liegt in jedem Wort, wie in jedem Pinselstrich, specielle Absicht; hier hingegen ist Alles mechanisch aufgesetzt. Den selben Unterschied kann man in der Musik beobachten. Denn überall ist es stets die Allgegenwart des Geistes in allen Theilen, welche die Werke des Genies charakterisirt: sie ist der von Lichtenberg bemerkten Allgegenwart der Seele Garricks(12) in allen Muskeln seines Körpers analog.

In Hinsicht auf die oben angeregte Langweiligkeit der Schriften ist jedoch die allgemeine Bemerkung beizubringen, daß es zwei Arten von Langweiligkeit giebt: eine objektive und eine subjektive. Die objektive entspringt allemal aus dem hier in Rede stehenden Mangel, also daraus, daß der Autor gar keine vollkommen deutliche Gedanken, oder Erkenntnisse, mitzutheilen hat. Denn wer solche hat, arbeitet auf seinen Zweck, die Mittheilung derselben, in gerader Linie hin, liefert daher überall deutlich ausgeprägte Begriffe und ist sonach weder weitschweifig, noch nichtssagend, noch konfus, folglich nicht langweilig. Selbst wenn sein Grundgedanke ein Irrthum wäre; so ist er, in solchem Fall, doch deutlich gedacht und wohl überlegt, also wenigstens formell richtig, wodurch die Schrift immer noch einigen Werth behält. Hingegen ist, aus den selben Gründen, eine objektiv langweilige Schrift allemal auch sonst werthlos. – Die subjektive Langweiligkeit hingegen ist eine bloß relative: sie hat ihren Grund im Mangel an Interesse für den Gegenstand, beim Leser; diese aber in irgend einer Beschränktheit desselben. Subjektiv langweilig kann daher auch das Vortrefflichste seyn, nämlich Diesem oder Jenem; wie umgekehrt auch das Schlechteste Diesem oder Jenem subjektiv-kurzweilig seyn kann; weil der Gegenstand, oder der Schreiber, ihn interessirt. –

Den deutschen Schriftstellern würde durchgängig die Einsicht zu Statten kommen, daß man zwar, wo möglich, denken soll wie ein großer Geist, hingegen die selbe Sprache reden wie jeder Andere. Wir finden sie nämlich, umgekehrt, bemüht, triviale Begriffe in vornehme Worte zu hüllen und ihre sehr gewöhnlichen Gedanken in die ungewöhnlichsten Ausdrücke, die gesuchtesten, preziosesten und seltsamsten Redensarten zu kleiden. Hinsichtlich dieses Wohlgefallens am Bombast, überhaupt am hochtrabenden, aufgedunsenen, pretiösen, hyperbolischen und aerobatischen Stile, ist ihr Typus der Fähnrich Pistol, dem sein Freund Fallstaff ein Mal ungeduldig zuruft: »sage was du zu sagen hast, wie ein Mensch aus dieser Welt!«(13) – Liebhabern von Beispielen widme ich folgende Anzeige: »Nächstens erscheint in unserm Verlage: Theoretisch-praktisch wissenschaftliche Physiologie, Pathologie und Therapie der sogenannten Blähungen, worin diese, in ihrem organischen Zusammenhange, ihrem Seyn und Wesen nach, wie auch mit allen sie bedingenden, äußern und innern, kausalen Momenten, in der ganzen Fülle ihrer Erscheinungen und Bethätigungen, sowohl für das allgemein menschliche, als für das wissenschaftliche Bewußtseyn, systematisch dargelegt werden: eine freie, mit berichtigenden Anmerkungen und erläuternden Exkursen ausgestattete Uebertragung des Französischen Werkes: l’art de peter(14)

Für stile empesé(15) findet man im Deutschen keinen genau entsprechenden Ausdruck; desto häufiger aber die Sache selbst. Wenn mit Preziosität verbunden, ist er in Büchern was im Umgange die affektirte Gravität, Vornehmigkeit und Preziosität, und eben so unerträglich. Die Geistesarmuth kleidet sich gern darin; wie im Leben die Dummheit in die Gravität und Formalität.

Wer preziös schreibt gleicht Dem, der sich herausputzt, um nicht mit dem Pöbel verwechselt und vermengt zu werden; eine Gefahr, welche der Gentleman, auch im schlechtesten Anzüge, nicht läuft. Wie man daher an einer gewissen Kleiderpracht und dem tiré à quatre épingles(16) den Plebejer erkennt; so am preziösen Stil den Alltagskopf.

Nichtsdestoweniger ist es ein falsches Bestreben, geradezu so schreiben zu wollen, wie man redet. Vielmehr soll jeder Schriftstil eine gewisse Spur der Verwandtschaft mit dem Lapidarstil tragen, der ja ihrer aller Ahnherr ist. Jenes ist daher so verwerflich, wie das Umgekehrte, nämlich reden zu wollen, wie man schreibt; welches pedantisch und schwer verständlich zugleich herauskommt.

Dunkelheit und Undeutlichkeit des Ausdrucks ist allemal und überall ein sehr schlimmes Zeichen. Denn in 99 Fällen unter 100 rührt sie her von der Undeutlichkeit des Gedankens, welche selbst wiederum fast immer aus einem ursprünglichen Mißverhältniß, Inkonsistenz und also Unrichtigkeit desselben entspringt. Wenn, in einem Kopfe, ein richtiger Gedanke aufsteigt, strebt er schon nach der Deutlichkeit und wird sie bald erreichen: das deutlich Gedachte aber findet leicht seinen angemessenen Ausdruck. Was ein Mensch zu denken vermag läßt sich auch allemal in klaren, faßlichen und unzweideutigen Worten ausdrücken. Die, welche schwierige, dunkele, verflochtene, zweideutige Reden zusammensetzen, wissen ganz gewiß nicht recht, was sie sagen wollen, sondern haben nur ein dumpfes, nach einem Gedanken erst ringendes Bewußtseyn davon: oft aber auch wollen sie sich selber und Andern verbergen, daß sie eigentlich nichts zu sagen haben. Sie wollen, wie Fichte, Schelling und Hegel, zu wissen scheinen, was sie nicht wissen, zu denken, was sie nicht denken, und zu sagen, was sie nicht sagen. Wird denn Einer, der etwas Rechtes mitzutheilen hat, sich bemühen, undeutlich zu reden, oder deutlich?

Wie jedes Uebermaaß einer Einwirkung meistens das Gegentheil des Bezweckten herbeiführt; so dienen zwar Worte, Gedanken faßlich zu machen; jedoch auch nur bis zu einem gewissen Punkt. Ueber diesen hinaus angehäuft, machen sie die mitzutheilenden Gedanken wieder dunkler und immer dunkler. Jenen Punkt zu treffen ist Aufgabe des Stils und Sache der Urtheilskraft: denn jedes überflüssige Wort wirkt seinem Zwecke gerade entgegen. In diesem Sinne sagt Voltaire: l’adjectif est l’ennemi du substantif.(17)

Demgemäß vermeide man alle Weitschweifigkeit und alles Einflechten unbedeutender, der Mühe des Lesens nicht lohnender Bemerkungen. Man muß sparsam mit der Zeit, Anstrengung und Geduld des Lesers umgehn: dadurch wird man bei ihm sich den Kredit erhalten, daß was dasteht des aufmerksamen Lesens werth ist und seine darauf zu verwendende Mühe belohnen wird. Immer noch besser, etwas Gutes wegzulassen, als etwas Nichtssagendes hinzusetzen. Also, wo möglich, lauter Quintessenzen, lauter Hauptsachen, nichts, was der Leser auch allein denken würde. – Viele Worte machen, um wenige Gedanken mitzutheilen, ist überall das untrügliche Zeichen der Mittelmäßigkeit; das des eminenten Kopfes dagegen, viele Gedanken in wenige Worte zu schließen.

Die Wahrheit ist nackt am schönsten, und der Eindruck, den sie macht, um so tiefer, als ihr Ausdruck einfacher war; theils, weil sie dann das ganze, durch keinen Nebengedanken zerstreute Gemüth des Hörers ungehindert einnimmt; theils, weil er fühlt, daß er hier nicht durch rhetorische Künste bestochen, oder getäuscht ist, sondern die ganze Wirkung von der Sache selbst ausgeht. Z.B. welche Deklamation über die Nichtigkeit des menschlichen Daseyns wird wohl mehr Eindruck machen, als Hiob’s: homo, natus de muliere, brevi vivit tempore, repletus multis miseriis, qui, tanquam flos, egreditur et conteritur, et fugit velut umbra.(18) – Eben daher steht die naive Poesie Göthe’s so unvergleichlich höher als die rhetorische Schillers. Daher auch die starke Wirkung mancher Volkslieder. Deshalb nun hat man, wie in der Baukunst vor der Ueberladung mit Zierrathen, in den redenden Künsten sich vor allem nicht nothwendigen rhetorischen Schmuck, allen unnützen Amplifikationen und überhaupt vor allem Ueberfluß im Ausdruck zu hüten, also sich eines keuschen Stiles zu befleißigen. Alles Entbehrliche wirkt nachtheilig. Das Gesetz der Einfachheit und Naivetät, da diese sich auch mit dem Erhabensten verträgt, gilt für alle schönen Künste.

Die ächte Kürze des Ausdrucks besteht darin, daß man überall nur sagt was sagenswerth ist, hingegen alle weitschweifigen Auseinandersetzungen Dessen, was Jeder selbst hinzudenken kann, vermeidet, mit richtiger Unterscheidung des Nöthigen und Ueberflüssigen. Hingegen soll man nie der Kürze die Deutlichkeit, geschweige die Grammatik, zum Opfer bringen. Den Ausdruck eines Gedankens zu schwächen, oder gar den Sinn einer Periode zu verdunkeln, oder zu verkümmern, um einige Worte weniger hinzusetzen, ist beklagenswerther Unverstand. Gerade Dies aber ist das Treiben jener falschen Kürze, die heut zu Tage im Schwange ist und darin besteht, daß man das Zweckdienliche, ja, das grammatisch, oder logisch, Nothwendige wegläßt. In Deutschland sind die schlechten Skribenten jetziger Zeit von ihr, wie von einer Manie, ergriffen und üben sie mit unglaublichem Unverstände. Nicht nur, daß sie, um ein Wort zu ersparen, ein Verbum, oder ein Adjektiv mehreren und verschiedenen Perioden zugleich dienen lassen, welche man nun alle, ohne sie zu verstehn und wie im Dunkeln tappend, zu durchlesen hat, bis endlich das Schlußwort kommt und uns ein Licht darüber aufsteckt; sondern noch durch mancherlei andere, ganz ungehörige Wortersparnisse suchen sie Das hervorzubringen, was sie sich unter Kürze des Ausdrucks und gedrungener Schreibart denken. So werden sie, durch ökonomische Weglassung eines Wortes, welches mit Einem Male Licht über eine Periode verbreitet hätte, diese zu einem Räthsel machen, welches man durch wiederholtes Lesen aufzuklären sucht. Insbesondere sind die Partikeln Wenn und So bei ihnen proskribirt und müssen überall durch Vorsetzung des Verbi ersetzt werden, ohne die nöthige, für Köpfe ihres Schlages freilich auch zu subtile, Diskrimination, wo diese Wendung passend sei, und wo nicht; woraus denn oft nicht nur geschmacklose Härte und Affektation, sondern auch Unverständlichkeit erwächst. Aber ihr Talent in der Kürze des Ausdrucks geht nun ein Mal nicht weiter, als die Worte zu zählen und auf Pfiffe zu denken, irgend eines, oder auch nur eine Silbe, um jeden Preis, auszumerzen. Ganz allein hierin suchen sie die Gedrungenheit des Stils und Kernhaftigkeit des Vertrags. Demzufolge haben diese unwissenden Tintenklexer, in den 1840ger Jahren, aus der deutschen Sprache das Perfekt und Plusquamperfekt ganz verbannt, indem sie, beliebter Kürze halber, solche überall durch das Imperfekt ersetzen, so daß dieses das einzige Präteritum der Sprache bleibt, auf Kosten, nicht etwan bloß aller feineren Richtigkeit, oder auch nur aller Grammaticität der Phrase; nein, oft auf Kosten alles Menschenverstandes, indem baarer Unsinn daraus wird. Ich wollte wetten, daß aus diesen letzten zehn Jahren sich ganze Bücher vorfinden, in denen kein einziges Plusquamperfektum, ja, vielleicht auch kein Perfektum, vorkommt. Beinahe ausnahmslos wird dieser Frevel gegen die Sprache ausgeübt in allen Zeitungen und größtentheils auch in den gelehrten Zeitschriften; indem, wie schon erwähnt, in Deutschland, jede Dummheit in der Litteratur und jede Ungezogenheit im Leben, Schaaren von Nachahmern findet und Keiner wagt auf eigenen Beinen zu stehn; weil eben, wie ich nicht bergen kann, die Urtheilskraft nicht zu Hause ist, sondern bei den Nachbarn, auf Visiten. – Durch die besagte Exstirpation jener zwei wichtigen Temporum sinkt nun aber eine Sprache fast zum Range der allerrohesten herab. – Es thäte daher Noth, daß man eine kleine Sprachschule für deutsche Schriftsteller errichtete, in welcher der Unterschied zwischen Imperfektum, Perfektum und Plusquamperfektum gelehrt würde; nächstdem auch der zwischen Genitiv und Ablativ; da, immer allgemeiner, dieser statt jenes gesetzt und ganz unbefangen z.B. »das Leben von Leibnitz«, statt Leibnitzens Leben, und »der Tod von Andreas Hofer«, statt Hofers Tod, geschrieben wird. Wie würde in andern Sprachen ein solcher Schnitzer aufgenommen werden? was würden z.B. die Italiäner sagen, wenn ein Schriftsteller di und da (d.i. Genitiv und Ablativ) vertauschte! Aber weil im Französischen diese beiden Partikeln durch das dumpfe, stumpfe de vertreten werden und die moderne Sprachkenntniß deutscher Bücherschreiber nicht über ein geringes Maaß Französisch hinauszugehn pflegt, glauben sie jene französische Armsäligkeit auch der deutschen Sprache aufheften zu dürfen, und finden, wie bei Dummheiten gewöhnlich, Beifall und Nachfolge. Die vorgeschlagene Sprachschule könnte auch Preisaufgaben stellen, z.B. den Unterschied des Sinnes der beiden Fragen: »sind Sie gestern im Theater gewesen?« und »waren Sie gestern im Theater?« deutlich zu machen.

Noch ein anderes Beispiel falscher Kürze liefert der allmälig allgemein gewordene falsche Gebrauch des Wortes nur. Bekanntlich ist die Bedeutung desselben limitirend, es besagt nämlich »nicht mehr als.« Nun aber weiß ich nicht, welcher Queerkopf zuerst es gebraucht hat für »nicht anders als«, welches ein ganz verschiedener Gedanke ist: aber wegen der dabei zu lukrirenden Wortersparniß fand der Schnitzer sogleich die eifrigste Nachahmung; so daß jetzt der falsche Gebrauch des Wortes der häufigste ist, obschon dadurch oft das Gegentheil von Dem, was der Schreiber beabsichtigt, eigentlich gesagt wird. Hieher gehört auch der, jetzt allgemeine adverbiale Gebrauch des Adjektivs »ähnlich«, der zwar ein Paar ältere Beispiele mag aufweisen können, mir jedoch allemal wie ein Mißton klingt.

Am auffallendesten aber zeigt jenes falsche Streben nach Kürze sich in der Verstümmelung der einzelnen Wörter. Um Tagelohn dienende Büchermacher, gräuelich unwissende Litteraten und feile Zeitungsschreiber beschneiden die deutschen Wörter von allen Seiten, wie Gauner die Münzen; Alles bloß zum Zweck beliebter Kürze, – wie sie solche verstehn. In diesem Streben werden sie den unbändigen Schwätzern gleich, welche, um nur recht Vieles in kurzer Zeit und in Einem Athem heraus zu sprudeln, Buchstaben und Silben verschlucken und, hastig nach Luft schnappend, ihre Phrasen ächzend abhaspeln, wobei sie dann die Worte nur zur Hälfte aussprechen. Solchermaaßen also werden auch von Jenen, um recht Vieles auf wenig Raum zu bringen, Buchstaben aus der Mitte und ganze Silben vom Anfang und Ende der Wörter weggeschnitten. Zuvörderst nämlich werden die der Prosodie, der Aussprache und dem Wohllaute dienenden Doppelvokale und verlängernden h überall herausgerissen, danach aber Alles, was noch irgendwo ablösbar ist, weggenommen. Vorzüglich hat diese vandalische Zerstörungswuth unserer Wortbeknapper sich auf die Endsilben »ung« und »keit« gerichtet; eben nur weil sie die Bedeutung derselben nicht verstehn, noch fühlen, und, unter ihrer dicken Hirnschaale, weit davon entfernt sind, den feinen Takt zu spüren, mit welchem überall unsere instinktmäßig sprachbildenden Vorfahren jene Silbenmodulation angewandt haben, indem sie nämlich durch »ung«, in der Regel, das Subjektive, die Handlung, vom Objektiven, dem Gegenstande derselben, unterschieden; durch »keit« aber meistens das Dauernde, die bleibenden Eigenschaften, ausdrückten: wie z.B. Jenes in Tödtung, Zeugung, Befolgung, Ausmessung u.s.w. Dieses in Freigebigkeit, Gutmüthigkeit, Freimüthigkeit, Unmöglichkeit, Dauerhaftigkeit u.s.w. Man betrachte z.B. nur die Wörter »Entschließung, Entschluß und Entschlossenheit.« Jedoch viel zu stumpf, um Dergleichen zu erkennen, schreiben unsre »jetztzeitigen« rohen Sprachverbesserer z.B. »Freimuth«: dann sollten sie auch Gutmuth und Freigabe, wie auch Ausfuhr statt Ausführung, Durchfuhr statt Durchführung, schreiben. Durchgängig schreiben sie »Vorlage«, wo nicht, wie doch das Wort besagt, das vorzulegende Dokument, sondern die Handlung des Vorlegens, also die »Vorlegung« gemeint und der Unterschied der analoge ist, wie zwischen Beilage und Beilegung, Grundlage und Grundlegung, Einlage und Einlegung, Versuch und Versuchung, Eingabe und Eingebung und hundert ähnlichen Wörtern. Aber wann sogar hohe Behörden die Sprachdilapidation sanktioniren, indem sie nicht nur »Vorlage« statt Vorlegung, sondern auch »Vollzug« statt »Vollziehung« schreiben; so darf es uns nicht wundern, alsbald einen Zeitungsschreiber den »Einzug einer Pension« berichten zu sehn, – womit er ihre Einziehung meint, folglich daß sie ihren Einzug nicht ferner halten werde. Denn an ihm freilich ist die Weisheit der Sprache, welche von der Ziehung einer Lotterie, aber vom Zuge eines Heeres redet, verloren. Allein was darf man von so einem Gazettier erwarten, wenn sogar die gelehrten Heidelberger Jahrbücher (Nr.24 d.J. 1850) vom »Einzug seiner Güter« reden? Höchstens könnten diese zu ihrer Entschuldigung anführen, daß es doch nur ein Philosophieprofessor ist, der so schreibt. Ich wundre mich, noch nicht »Absatz« statt Absetzung gefunden zu haben, welches ergötzliche Mißverständnisse herbeiführen könnte. Wirklich gefunden aber habe ich, in einer vielgelesenen Zeitung, und zwar mehrmals, »Unterbruch« statt Unterbrechung; wodurch man verleitet werden kann zu denken, hier sei die gewöhnliche Hernia, im Gegensatz des Leistenbruchs, gemeint. – Und doch haben gerade die Zeitungen am wenigsten Ursache, die Worte zu beschneiden; da solche, je länger sie sind, desto mehr ihre Spalten ausfüllen, und wenn Dies durch unschuldige Silben geschieht, sie dafür ein Paar Lügen weniger in die Welt schicken können. Ganz ernstlich muß ich nun aber hier zu bedenken geben, daß gewiß mehr, als 9/10 der überhaupt lesenden Menschen nichts, als die Zeitungen, lesen, folglich fast unausbleiblich ihre Rechtschreibung, Grammatik und Stil nach diesen bilden, und sogar, in ihrer Einfalt, dergleichen Sprachverhunzungen für Kürze des Ausdrucks, elegante Leichtigkeit und scharfsinnige Sprachverbesserung halten, ja, überhaupt den jungen Leuten ungelehrter Stände die Zeitung, weil sie doch gedruckt ist, für eine Auktorität gilt. Daher sollte, in allem Ernst, von Staats wegen dafür gesorgt werden, daß die Zeitungen, in sprachlicher Hinsicht, durchaus fehlerfrei wären. Man könnte, zu diesem Zweck, einen Nachcensor anstellen, der, statt des Gehaltes, vom Zeitungsschreiber, für jedes verstümmelte, oder nicht bei guten Schriftstellern anzutreffende Wort, wie auch für jeden grammatischen, selbst nur syntaktischen Fehler, auch für jede in falscher Verbindung, oder falschem Sinne, gebrauchte Präposition einen Louisd’or, als Sportel, zu erheben hätte, für freche Verhöhnung aller Grammatik aber, wie wenn ein solcher Skribler, statt »hinsichtlich«, hinsichts schreibt, 3 Louisd’or und im Wiederbetretungsfall das Doppelte. Oder ist etwan die deutsche Sprache vogelfrei, als eine Kleinigkeit, die nicht des Schutzes der Gesetze werth ist, den doch jeder Misthaufen genießt? – Elende Philister! – Was, in aller Welt, soll aus der deutschen Sprache werden, wenn Sudler und Zeitungsschreiber diskretionäre Gewalt behalten, mit ihr zu schalten und zu walten nach Maaßgabe ihrer Laune und ihres Unverstandes? – Uebrigens aber beschränkt der in Rede stehende Unfug sich keineswegs auf die Zeitungen: vielmehr ist er allgemein und wird in Büchern und gelehrten Zeitschriften mit gleichem Eifer und mit wenig mehr Ueberlegung getrieben. Da finden wir Präfixa und Affixa rücksichtslos unterschlagen, indem z.B. »Hingabe«, für Hingebung; »Mißverstand«, für Mißverständniß; »Wandeln«, für Verwandeln; »Lauf«, für Verlauf; »Meiden«, für Vermeiden; »Rathschlagen«, für Berathschlagen; »Schlüsse«, für Beschlüsse; »Führung«, für Aufführung; »Vergleich«, für Vergleichung; »Zehrung«, für Auszehrung gesetzt ist, und hundert andere, mitunter noch schlimmere Streiche dieser Art. Sogar in sehr gelehrten Werken finden wir die Mode mitgemacht: z.B. in der »Chronologie der Aegypter« von Lepsius, 1849, heißt es, S.545. »Manethos fügte seinem Geschichtswerke – – – – eine Uebersicht – – – –, nach Art ägyptischer Annalen, zu.« – also »zufügen«, infligere, für »hinzufügen«, addere; – um eine Silbe zu ersparen. Aber die Manie ist universal: Alles greift zu, die Sprache zu demoliren, ohne Gnade und Schonung; ja, wie bei einem Vogelschießen, sucht jeder ein Stück abzulösen, wo und wie er nur kann. Also zu einer Zeit, da in Deutschland nicht ein einziger Schriftsteller lebt, dessen Werke sich Dauer versprechen dürfen, erlauben sich Bücherfabrikanten, Litteraten und Zeitungsschreiber die Sprache reformiren zu wollen, und so sehn wir denn dieses gegenwärtige, bei aller Langbärtigkeit, impotente, d.h. zu jeder Geistesproduktion höherer Art unfähige, Geschlecht, seine Muße dazu verwenden, die Sprache, in welcher große Schriftsteller geschrieben haben, auf die muthwilligste und unverschämteste Weise zu verstümmeln, um so sich ein Herostratisches Andenken zu stiften. Wenn ehemals wohl die Koryphäen der Litteratur sich, im Einzelnen, eine wohlüberlegte Sprachverbesserung erlaubten; so hält sich jetzt jeder Tintenklexer, jeder Zeitungsschreiber, jeder Herausgeber eines ästhetischen Winkelblattes befugt, seine Tatzen an die Sprache zu legen, um nach seinem Kaprice herauszureißen was ihm nicht gefallt, oder auch neue Worte einzusetzen.

Hauptsächlich ist, wie gesagt, die Wuth dieser Wortbeschneider auf die Präfixa und Affixa aller Wörter gerichtet. Was sie nun durch solche Amputation derselben zu erreichen suchen, muß wohl die Kürze und durch diese die größere Prägnanz und Energie des Ausdrucks seyn: denn die Papierersparniß ist am Ende doch gar zu gering. Sie möchten also das zu Sagende möglichst kontrahiren. Hiezu aber ist eine ganz andere Procedur, als Wortbeknapperei, erfordert, nämlich diese, daß man bündig und koncis denke: gerade diese jedoch steht nicht eben so einem Jeden zu Gebote. Zudem nun aber ist schlagende Kürze, Energie und Prägnanz des Ausdrucks nur dadurch möglich, daß die Sprache für jeden Begriff ein Wort und für jede Modifikation, sogar für jede Nüancirung dieses Begriffs eine derselben genau entsprechende Modifikation des Wortes besitze; weil nur durch diese, in ihrer richtigen Anwendung, es möglich wird, daß jede Periode, sobald sie ausgesprochen worden, im Hörer gerade und genau den Gedanken, welchen der Redner beabsichtigt, erwecke, ohne ihn auch nur einen Augenblick im Zweifel zu lassen, ob Dieses, oder Jenes, gemeint sei. Hiezu nun muß jedes Wurzelwort der Sprache ein modificabile multimodis modificationibus(19) seyn, um sich allen Nuancen des Begriffs, und dadurch den Feinheiten des Gedankens, wie ein nasses Gewand, anlegen zu können. Dieses nun wird hauptsächlich gerade durch die Präfixa und Affixa ermöglicht: sie sind die Modulationen jedes Grundbegriffs auf der Klaviatur der Sprache. Daher haben auch Griechen und Römer die Bedeutung fast aller Verba und vieler Substantiva durch Präfixa modulirt und nüancirt. Man kann sich dies an jedem lateinischen Hauptverbo exemplifiziren, z.B. an ponere(20), modifizirt zu imponere, deponere, disponere, exponere, componere, adponere, subponere, superponere, seponere, praeponere, proponere, interponere, transponere u.s.f. Das Selbe läßt sich an deutschen Worten zeigen: z.B. das Substantiv Sicht wird modificirt zu Aussicht, Einsicht, Durchsicht, Nachsicht, Vorsicht, Hinsicht, Absicht u.s.f. Oder das Verbum Suchen, modificirt zu Aufsuchen, Aussuchen, Untersuchen, Besuchen, Ersuchen, Versuchen, Heimsuchen, Durchsuchen, Nachsuchen u.s.f. Dies also leisten die Präfixa: läßt man sie, angestrebter Kürzer halber, weg und sagt, vorkommenden Falls, statt aller angegebenen Modifikationen, jedesmal nur ponere(20), oder Sicht, oder suchen; so bleiben alle nähern Bestimmungen eines sehr weiten Grundbegriffs unbezeichnet und das Verständniß Gott und dem Leser überlassen: dadurch wird also die Sprache zugleich arm, ungelenk und roh gemacht. Nichtsdestoweniger ist gerade Dies der Kunstgriff der scharfsinnigen Sprachverbesserer der »Jetztzeit«. Plump und unwissend, wähnen sie wahrlich, unsere so sinnigen Vorfahren hätten die Präfixa müßigerweise, aus reiner Dummheit, hingesetzt, und glauben ihrerseits einen Geniestreich zu begehn, indem sie solche überall wegknappen, mit Hast und Eifer, wo sie nur Eines gewahr werden; während doch in der Sprache kein Präfixum ohne Bedeutung ist, keines, das nicht diente, den Grundbegriff durch alle seine Modulationen durchzuführen und eben dadurch Bestimmtheit, Deutlichkeit und Feinheit des Ausdrucks möglich zu machen, welche sodann in Energie und Prägnanz desselben übergehn kann. Hingegen wird durch Abschneiden der Präfixa aus mehreren Wörtern Eines gemacht; wodurch die Sprache verarmt. Aber noch mehr: nicht bloß Wörter sind es, sondern Begriffe, die dadurch verloren gehn; weil es alsdann an Mitteln fehlt, diese zu fixiren, und man nun bei seinem Reden, ja, selbst bei seinem Denken, sich mit dem à peu près(21) zu begnügen hat, wodurch die Energie der Rede und Deutlichkeit des Gedankens eingebüßt wird. Man kann nämlich nicht, wie durch solche Beknappung geschieht, die Zahl der Wörter verringern, ohne zugleich die Bedeutung der übrig bleibenden zu erweitern, und wiederum Dieses nicht, ohne derselben ihre genaue Bestimmtheit zu nehmen, folglich der Zweideutigkeit, mithin der Unklarheit in die Hände zu arbeiten, wodurch alsdann alle Präcision und Deutlichkeit des Ausdrucks, geschweige Energie und Prägnanz desselben, unmöglich gemacht wird. Eine Erläuterung hiezu liefert schon die oben gerügte Erweiterung der Bedeutung des Wortes nur, welche sogleich Zweideutigkeit, ja, bisweilen Falschheit des Ausdrucks herbeiführt. – Wie wenig ist doch daran gelegen, daß ein Wort zwei Silben mehr habe, wenn durch diese der Begriff näher bestimmt wird! Sollte man glauben, daß es Schiefköpfe giebt, die Indifferenz schreiben, wo sie Indifferentismus meynen, – um diese zwei Silben zu lukriren!

Zu aller Deutlichkeit und Bestimmtheit des Ausdrucks, und dadurch zur ächten Kürze, Energie und Prägnanz der Rede, sind also gerade jene Präfixa, welche ein Wurzelwort durch alle Modifikationen und Nuancen seiner Anwendbarkeit durchführen, ein unerläßliches Mittel, und eben so die Affixa, also auch die verschiedenartigen Endsilben der von Verben abstammenden Substantiva, wie dieses bereits oben, an Versuch und Versuchung u.s.w., erläutert worden. Daher sind beide Modulationsweisen der Wörter und Begriffe von unsern Altvordern höchst sinnig, weise und mit richtigem Takt auf die Sprache vertheilt und den Wörtern aufgedrückt worden. Auf jene aber ist, in unsern Tagen, ein Geschlecht roher, unwissender und unfähiger Schmierer gefolgt, welches, mit vereinten Kräften, sich ein Geschäft daraus macht, durch Dilapidation der Wörter jenes alte Kunstwerk zu zerstören; weil eben diese Pachydermata für Kunstmittel, welche bestimmt sind, fein nüancirten Gedanken zum Ausdruck zu dienen, natürlich keinen Sinn haben: wohl aber verstehn sie, Buchstaben zu zählen. Hat daher so ein Pachyderma die Wahl zwischen zwei Wörtern, davon das eine, mittelst seines Präfixums, oder Affixums, dem auszudrückenden Begriffe genau entspricht, das andere aber ihn nur so ungefähr und im Allgemeinen bezeichnet, jedoch drei Buchstaben weniger zählt; so greift unser Pachyderma unbedenklich nach dem letztern und begnügt sich hinsichtlich des Sinnes mit dem à peu près(21): denn sein Denken bedarf jener Feinheiten nicht; da es doch nur so in Bausch und Bogen geschieht: – aber nur recht wenige Buchstaben! daran hängt die Kürze und Kraft des Ausdrucks, die Schönheit der Sprache. Wie sollte aber auch so ein Pachyderma Gefühl haben für das zarte Wesen einer Sprache, dieses köstlichen, weichen Materials, denkenden Geistern überliefert, um einen genauen und feinen Gedanken aufnehmen und bewahren zu können? Hingegen Buchstaben zählen, Das ist etwas für Pachydermata! Seht daher, wie sie schwelgen in der Sprachverhunzung, diese edeln Söhne der »Jetztzeit«. Seht sie nur an! kahle Köpfe, lange Bärte, Brillen statt der Augen, als Surrogat der Gedanken ein Cigarro im thierischen Maul, ein Sack auf dem Rücken statt des Rocks, Herumtreiben statt des Fleißes, Arroganz statt der Kenntnisse, Frechheit und Kamaraderie statt der Verdienste. Edele »Jetztzeit«, herrliche Epigonen, bei der Muttermilch Hegel’scher Philosophie herangewachsenes Geschlecht! Zum ewigen Andenken wollt ihr euere Tatzen in unsere alte Sprache drücken, damit der Abdruck, als Ichnolith, die Spur eueres schaalen und dumpfen Daseyns auf immer bewahre. Aber Dî meliora!(22) Fort, Pachydermata, fort! Dies ist die deutsche Sprache! in der Menschen sich ausgedrückt, ja, in der große Dichter gesungen und große Denker geschrieben haben. Zurück mit den Tatzen! – oder ihr sollt – hungern. (Dies allein schreckt sie.) –

Der gerügten »jetztzeitigen« Verschlimmbesserung der Sprache, durch der Schule zu früh entlaufene und in Unwissenheit herangewachsene Knaben, ist denn auch die Interpunktion zur Beute geworden, als welche heut zu Tage, fast allgemein, mit absichtlicher, selbstgefälliger Liederlichkeit gehandhabt wird. Was eigentlich die Skribler sich dabei denken mögen, ist schwer anzugeben: wahrscheinlich aber soll die Narrheit eine französische liebenswürdige légèreté(23) vorstellen, oder auch Leichtigkeit der Auffassung beurkunden und voraussetzen. Mit den Interpunktionszeichen der Druckerei wird nämlich umgegangen, als wären sie von Gold: demnach werden etwan drei Viertel der nöthigen Kommata weggelassen (finde sich zurecht wer kann!); wo aber ein Punkt stehn sollte, steht erst ein Komma, oder höchstens ein Semikolon, u.dgl.m. Nun aber steckt in der Interpunktion ein Theil der Logik jeder Periode, sofern diese dadurch markirt wird: daher ist eine solche absichtliche Liederlichkeit geradezu frevelhaft, am meisten aber, wann sie, wie jetzt sehr häufig geschieht, sogar von si Deo placet(24) Philologen, selbst auf die Ausgaben alter Schriftsteller angewandt und das Verständniß dieser dadurch beträchtlich erschwert wird. Nicht ein Mal das N.T. ist, in seinen neueren Auflagen, damit verschont geblieben. Es liegt am Tage, daß eine laxe Interpunktion, wie etwan die französische Sprache, wegen ihrer streng logischen und daher kurz angebundenen Wortfolge, und die englische, wegen der großen Aermlichkeit ihrer Grammatik, sie zuläßt, nicht anwendbar ist auf relative Ursprachen, die, als solche, eine komplicirte und gelehrte Grammatik haben, welche künstlichere Perioden möglich macht; dergleichen die griechische, lateinische und deutsche Sprache sind.

Um nun also auf die hier eigentlich in Rede stehende Kürze, Koncinnität und Prägnanz des Vortrags zurückzukommen; so geht eine wirklich solche allein aus dem Reichthum und der Inhaltsschwere der Gedanken hervor, bedarf daher am allerwenigsten jener armsäligen, als Mittel zur Abkürzung des Ausdrucks ergriffenen Wort- und Phrasenbeschneiderei, die ich hier ein Mal gehörig gerügt habe. Denn vollwichtige, reichhaltige, also überhaupt schreibenswerthe Gedanken müssen Stoff und Gehalt genug liefern, um die sie aussprechenden Perioden, auch in der grammatischen und lexikalischen Vollkommenheit aller ihrer Theile, so sattsam auszufüllen, daß solche nirgends hohl, leer, oder leicht befunden werden, sondern der Vortrag überall kurz und prägnant bleibt, während an ihm der Gedanke seinen faßlichen und bequemen Ausdruck findet, ja, sich mit Grazie darin entfaltet und bewegt. Also nicht die Worte und Sprachformen soll man zusammenziehn, sondern die Gedanken vergrößern; wie ein Konvalescent durch Herstellung seiner Wohlbeleibtheit, nicht aber durch Engermachen seiner Kleider, diese wieder wie vormals auszufüllen im Stande seyn soll.

 

§. 284.

Ein heut zu Tage, beim gesunkenen Zustande der Litteratur und bei der Vernachlässigung der alten Sprachen, immer häufiger werdender, jedoch nur in Deutschland einheimischer Fehler des Stils ist die Subjektivität desselben. Sie besteht darin, daß es dem Schreiber genügt, selbst zu wissen, was er meint und will; der Leser mag sehn, wie auch er dahinter komme. Unbekümmert um diesen, schreibt er eben, als ob er einen Monolog hielte; während es denn doch ein Dialog seyn sollte, und zwar einer, in welchem man sich um so deutlicher auszudrücken hat, als man die Fragen des Andern nicht vernimmt. Eben dieserhalb nun also soll der Stil nicht subjektiv, sondern objektiv seyn; wozu es nöthig ist, die Worte so zu stellen, daß sie den Leser geradezu zwingen, genau das Selbe zu denken, was der Autor gedacht hat. Dies wird aber nur dann zu Stande kommen, wann der Autor stets eingedenk war, daß die Gedanken insofern das Gesetz der Schwere befolgen, als sie den Weg vom Kopfe auf das Papier viel leichter, als den vom Papier zum Kopfe zurücklegen, daher ihnen hiebei mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln geholfen werden muß. Ist Dies geschehn, so wirken die Worte rein objektiv, gleich wie ein vollendetes Oelgemälde; während der subjektive Stil nicht viel sicherer wirkt, als die Flecken an der Wand, bei denen Der allein, dessen Phantasie zufällig durch sie erregt worden, Figuren sieht, die Andern nur Klexe. Der in Rede stehende Unterschied erstreckt sich über die ganze Darstellungsweise, ist aber oft auch im Einzelnen nachweisbar: soeben z.B. lese ich in einem neuen Buche: »um die Masse der vorhandenen Bücher zu vermehren, habe ich nicht geschrieben«. Dies sagt das Gegentheil von dem, was der Schreiber beabsichtigte, und obendrein Unsinn.

 

§. 285.

Wer nachlässig schreibt legt dadurch zunächst das Bekenntniß ab, daß er selbst seinen Gedanken keinen großen Werth beilegt. Denn nur aus der Ueberzeugung von der Wahrheit und Wichtigkeit unsrer Gedanken entspringt die Begeisterung, welche erfordert ist, um mit unermüdlicher Ausdauer überall auf den deutlichsten, schönsten und kräftigsten Ausdruck derselben bedacht zu seyn; – wie man nur an Heiligthümer, oder unschätzbare Kunstwerke, silberne oder goldene Behältnisse wendet. Daher haben die Alten, deren Gedanken, in ihren eigenen Worten, schon Jahrtausende fortleben, und die deswegen den Ehrentitel Klassiker tragen, mit durchgängiger Sorgfalt geschrieben; soll doch Plato den Eingang seiner Republik sieben Mal, verschieden modifizirt, abgefaßt haben. – Die Deutschen hingegen zeichnen sich durch Nachlässigkeit des Stils, wie des Anzuges, vor andern Nationen aus, und beiderlei Schlumperei entspringt aus der selben, im Nationalcharakter liegenden Quelle. Wie aber Vernachlässigung des Anzuges Geringschätzung der Gesellschaft, in die man tritt, verräth, so bezeugt flüchtiger, nachlässiger, schlechter Stil, eine beleidigende Geringachätzung des Lesers, welche dann dieser, mit Recht, durch Nichtlesen straft. Zumal aber sind die Recensenten belustigend, welche im nachlässigsten Lohnschreiberstile die Werke Anderer kritisiren. Das nimmt sich aus, wie wenn Einer im Schlafrock und Pantoffeln zu Gerichte säße. Wie sorgfältig hingegen werden Edinburgh’ review und Journal des Savants abgefaßt! Wie ich aber mit einem schlecht und schmutzig gekleideten Menschen mich in ein Gespräch einzulassen vorläufig Bedenken trage; so werde ich ein Buch weglegen, wenn mir die Fahrlässigkeit des Stils sogleich in die Augen springt.

 

§. 286.

Wenige schreiben wie ein Architekt baut, der zuvor seinen Plan entworfen und bis ins Einzelne durchdacht hat; – vielmehr die Meisten nur so, wie man Domino spielt. Wie nämlich hier, halb durch Absicht, halb durch Zufall, Stein an Stein sich fügt, – so steht es eben auch mit der Folge und dem Zusammenhang ihrer Sätze. Kaum daß sie ungefähr wissen, welche Gestalt im Ganzen herauskommen wird und wo das Alles hinaus soll. Viele wissen selbst Dies nicht, sondern schreiben, wie die Korallenpolypen bauen: Periode fügt sich an Periode, und es geht wohin Gott will.

 

§. 287.

Der leitende Grundsatz der Stilistik sollte seyn, daß der Mensch nur einen Gedanken zur Zeit deutlich denken kann; daher ihm nicht zuzumuthen ist, daß er deren zwei, oder gar mehrere, auf ein Mal denke. – Dies aber muthet ihm Der zu, welcher solche, als Zwischensätze, in die Lücken einer zu diesem Zwecke zerstückelten Hauptperiode schiebt; wodurch er ihn also unnöthiger und muthwilliger Weise in Verwirrung setzt. Hauptsächlich thun Dies die deutschen Schriftsteller. Daß ihre Sprache sich dazu besser, als die andern lebenden, eignet, begründet zwar die Möglichkeit, aber nicht die Löblichkeit der Sache. Keine Prosa liest sich so leicht und angenehm, wie die Französische; weil sie von diesem Fehler, in der Regel, frei ist. Der Franzose reiht seine Gedanken, in möglichst logischer und überhaupt natürlicher Ordnung, an einander und legt sie so seinem Leser successive zu bequemer Erwägung vor. Der Deutsche hingegen flicht sie in einander, zu einer verschränkten und abermals verschränkten und nochmals verschränkten Periode. Also, während er suchen sollte, die Aufmerksamkeit seines Lesers anzulocken und festzuhalten, verlangt er vielmehr von demselben noch obendrein, daß er, obigem Gesetze der Einheit der Appréhension entgegen, drei oder vier verschiedene Gedanken zugleich, oder, weil Dies nicht möglich ist, in schnell vibrirender Abwechselung denke. Hierdurch legt er den Grund zu seinem stile empesé(25), den er sodann durch preziose, hochtrabende Ausdrücke, um die einfachsten Sachen mitzutheilen, und sonstige Kunstmittel dieser Art, vollendet.

Durch jene langen, mit in einander geschachtelten Zwischensätzen bereicherten und, wie gebratene Gänse mit Aepfeln, ausgestopften Perioden wird eigentlich zunächst das Gedächtniß in Anspruch genommen; während vielmehr Verstand und Urtheilskraft aufgerufen werden sollten, deren Thätigkeit nun aber gerade dadurch erschwert und geschwächt wird. Denn dergleichen Perioden liefern dem Leser lauter halb vollendete Phrasen, die sein Gedächtniß nun sorgfältig sammeln und aufbewahren soll, wie die Stückchen eines zerrissenen Briefes, bis sie durch die später nachkommenden, respektiven andern Hälften ergänzt werden und dann einen Sinn erhalten. Folglich muß er bis dahin eine Weile lesen, ohne irgend etwas zu denken, vielmehr bloß Alles memoriren, in der Hoffnung auf den Schluß, der ihm ein Licht aufstecken wird, bei dem er nun auch etwas zu denken empfangen soll. Das ist offenbar schlecht. Aber die unverkennbare Vorliebe der gewöhnlichen Köpfe für diese Schreibart beruht darauf, daß sie den Leser erst nach einiger Zeit und Mühe Das verstehn läßt, was er außerdem sogleich verstanden haben würde; wodurch nun der Schein entsteht, als hätte der Schreiber mehr Tiefe und Verstand, als der Leser. Auch Dieses also gehört zu den oben erwähnten Kunstgriffen, mittelst welcher die Mediokren, unbewußt und instinktartig, ihre Geistesarmuth zu verstecken und den Schein des Gegentheils hervorzubringen sich bemühen. Ihre Erfindsamkeit hierin ist sogar erstaunenswerth.

Offenbar aber ist es gegen alle gesunde Vernunft, einen Gedanken queer durch einen andern zu schlagen, wie ein hölzernes Kreuz: Dies geschieht jedoch, indem man Das, was man zu sagen angefangen hat, unterbricht, um etwas ganz Anderes dazwischen zu sagen, und so seinem Leser eine angefangene Periode, einstweilen noch ohne Sinn, in Verwahrung giebt, bis die Ergänzung nachkommt. Es ist ungefähr, wie wenn man seinen Gästen einen leeren Teller in die Hand gäbe, mit der Hoffnung, es werde noch etwas darauf kommen. Eigentlich sind die Zwischenkommata von der selben Familie mit den Noten unter der Seite und den Parenthesen mitten im Text; ja, alle Drei sind im Grunde bloß dem Grade nach verschieden. Wenn bisweilen Demosthenes und Cicero dergleichen Einschachtelungsperioden gemacht haben; so hätten sie besser gethan, es zu unterlassen.

 

§. 288.

Schon in der Logik könnte, bei der Lehre von den analytischen Urtheilen, beiläufig bemerkt werden, daß sie eigentlich im guten Vortrage nicht vorkommen sollen; weil sie sich einfältig ausnehmen. Am meisten tritt Dies hervor, wenn vom Individuo prädicirt wird was schon der Gattung zukommt: wie, z.B., ein Ochs, welcher Hörner hatte; ein Arzt, dessen Geschäft es war, Kranke zu kuriren, u.dgl.m. Daher sind sie nur da zu gebrauchen, wo eine Erklärung, oder Definition gegeben werden soll.

 

§. 289.

Gleichnisse sind von großem Werthe; sofern sie ein unbekanntes Verhältniß auf ein bekanntes zurückführen. Auch die ausführlicheren Gleichnisse, welche zur Parabel, oder Allegorie anwachsen, sind nur die Zurückführung irgend eines Verhältnisses auf seine einfachste, anschaulichste und handgreiflichste Darstellung. – Sogar beruht alle Begriffsbildung im Grunde auf Gleichnissen; sofern sie aus dem Auffassen des Aehnlichen, und Fallenlassen des Unähnlichen in den Dingen erwächst. Ferner besteht jedes eigentliche Verstehn zuletzt in einem Auffassen von Verhältnissen (un saisir de rapports): man wird aber jedes Verhältniß um so deutlicher und reiner auffassen, als man es in weit von einander verschiedenen Fällen und zwischen ganz heterogenen Dingen als das selbe wieder erkennt. So lange nämlich ein Verhältniß mir nur als in einem einzelnen Falle vorhanden bekannt ist, habe ich von demselben bloß eine individuelle, also eigentlich nur noch anschauliche Erkenntniß: sobald ich aber auch nur in zwei verschiedenen Fällen das selbe Verhältniß auffasse, habe ich einen Begriff von der ganzen Art desselben, also eine tiefere und vollkommenere Erkenntniß.

Eben weil Gleichnisse ein so mächtiger Hebel für die Erkenntniß sind, zeugt das Aufstellen überraschender und dabei treffender Gleichnisse von einem tiefen Verstande. Demgemäß sagt auch Aristoteles: πολυ δε μεγιστον το μεταφορικον ειναι· μόνον γαρ τουτο ουτε παρ’ αλλου εστι λαβειν, ευφυϊας τε σημειον εστιν· το γαρ ευ μεταφερειν το ‘ομοιον θεωρειν εστιν·(26) (at maximum est, metaphoricum esse: solum enim hoc neque ab alio licet assumere, et boni ingenii signum est. Bene enim transferre est simile intueri.) de poëtica. C. 22. Desgleichen: και εν φιλοσοφια το ‘ομοιον, και εν πολυ διεχουσι, θεωρειν ευστοχου.(27) (etiam in philosophia simile, vel in longe distantibus, cernere perspicacis est.) Rhet. III, 11.

 


Anmerkungen:

(*)

Meinen Fluch über Jeden, der,
bei künftigen Drucken meiner Werke,
irgend etwas daran wissentlich ändert,
sei es eine Periode, oder auch nur ein Wort,
eine Silbe, ein Buchstabe, ein Interpunktionszeichen.

(1) inventis aliquid addere facile est: dem Gefundenen etwas beizufügen ist leicht

(2) [Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832), ›Spruch, Widerspruch‹]

(3) lo fece natura, e poi ruppe lo stampo: die Natur hat ihn geprägt und dann die Form zerbrochen [Ludovico Ariosto (1474–1533), Orlando furioso (1516/1521/1532), X, 84]

(4) accedas socius, laudes lauderis ut absens: werde Kumpan und lobe, damit man dich wieder lobt, wenn du fern bist [Horaz (65–8 bce), ›Saturae‹, II, 5, 72]

(5) tout honnête homme doit avouer les livres qu’il publie: jeder ehrliche Mann muss zu den Büchern stehen, die er veröffentlicht [Jean-Jacques Rousseau (1712–1778), La nouvelle Héloïse (1761), Vorrede]

(6) κατ’ εξοχην: im höchsten Sinn, schlechthin

(7) nascetur ridiculus mus [es kreißen die Berge, und] geboren wird eine lächerliche Maus [Horaz (65–8 bce), ›De arte poetica‹, 139]

(8) scribendi recte sapere est et principium et fons: die Weisheit ist Grundlage und Ursprung des guten Schreibens [Horaz (65–8 bce), ›De arte poetica‹, 309]

(9) stile empesé: gestärkter, stocksteifer Stil (1, 2, 3)

(10) Ma pensée au grand jour partout s’offre et s’expose, Et mon vers, bien ou mal, dit toujours quelque chose: Was ich denke, kann offen zutage sich wagen. / Mein Vers, ob gut oder schlecht, hat stets etwas zu sagen. [Nicolas Boileau-Despréaux (1636–1711), ›Epître IX à M. le Marquis de Seignelay‹]

(11) et qui parlant beaucoup ne disent jamais rien: und sie reden viel und haben doch nie etwas zu sagen [Nicolas Boileau-Despréaux (1636–1711), ›Epître IX à M. le Marquis de Seignelay‹]

(12) Allgegenwart der Seele Garricks: [Georg Christoph Lichtenberg (1742–1799), Briefe aus England (1776), ›An Heinrich Christian Boie. Erster Brief‹]

(13) sage was du zu sagen hast, wie ein Mensch aus dieser Welt!: [William Shakespeare (1564–1616), King Henry IV, Part II (1598), V, 3]

(14) l’art de peter : die Kunst des Furzens

(15) stile empesé: gestärkter, stocksteifer Stil

(16) tiré à quatre épingles: mit vier Stecknadeln befestigt; geschniegelt und gebügelt

(17) l’adjectif est l’ennemi du substantif: Das Eigenschaftswort ist der Feind des Hauptworts. [Voltaire (1694–1778), ›Discours sur l’homme‹, 6]

(18) homo, natus de muliere, brevi vivit tempore, repletus multis miseriis, qui, tanquam flos, egreditur et conteritur, et fugit velut umbra: der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten.   [Biblia, Hiob, 14:1]

(19) modificabile multimodis modificationibus: ein durch vielerlei Abwandlungen Abwandlungsfähiges

(20) ponere: setzen, stellen, legen

(21) à peu près: beinahe

(22) Dî meliora!: Da sei Gott vor!

(23) légèreté: Leichtigkeit

(24) si Deo placet: so Gott will

(25) stile empesé: gestärkter, stocksteifer Stil

(26) πολυ δε μεγιστον το μεταφορικον ειναι· μόνον γαρ τουτο ουτε παρ’ αλλου εστι λαβειν, ευφυϊας τε σημειον εστιν· το γαρ ευ μεταφερειν το ‘ομοιον θεωρειν εστιν·: Bei weitem das Größte ist es, Gleichnisse zu finden. Denn dieses allein kann man nicht von einem andern lernen, sondern es ist Zeichen einer genialen Natur. Denn um gute Gleichnisse zu bilden, muss man das Gleichartige erkennen. [Aristoteles (384–322 bce), De poetica, cap. 22 (p. 1459 a 5f)]

(27) και εν φιλοσοφια το ‘ομοιον, και εν πολυ διεχουσι, θεωρειν ευστοχου.: Auch in der Philosophie das Gleichartige, sogar in Weitauseinanderliegendem, zu finden, ist ein Zeichen von Scharfsinn.   [Aristoteles (384–322 bce), Rhetorica, III, 11 (p. 1412 a 11f)]

 



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