Demozid – der befohlene Tod

Interview mit dem US-Historiker Rudolph Rummel

Artikel und Interview von David Schah

in der Monatszeitschrift
"eigentümlich frei" (ef-magazin) Januar 2005

Quelle: Internet http://www.david-schah.de/artikel_rummel.htm

 

In den USA eine Koryphäe seines Fachs, ist der Historiker Rudolph Rummel in Deutschland so gut wie unbekannt. Sein Hauptwerk besteht aus mehreren Büchern zum Thema Demozid, einem Begriff, den Rummel selbst geprägt hat. Während Genozid lediglich das Töten von Menschen aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit bezeichnet, umfasst Demozid jedes geplante Töten durch Staaten, Regierungen und parastaatliche Gebilde, das auf eine bestimme ethnische, religiöse oder soziale oder auch anders konstituierte Gruppe von Menschen abzielt. So lässt sich die Ermordung der Kulaken unter Stalin ebenso unter dem Begriff Demozid zusammenfassen wie die mörderische Fronarbeit mexikanischer Bauern Anfang des 20. Jahrhunderts und auch der Bombenterror gegen Hiroshima, Nagasaki und Dresden.

Über die Gründe warum ausgerechnet in einem Land wie Deutschland, das in seiner jüngeren Geschichte in Bezug auf Demozid viel ausgeteilt aber auch einiges eingesteckt hat, Rummels wissenschaftliche Forschung auf taube Ohren stößt, können nur Mutmaßungen angestellt werden. Der LIT-Verlag, der Rummels Werke auf deutsch verlegt, hat den Verkauf des Rummel-Hauptwerks "Demozid – der befohlene Tod" eingestellt. Lediglich auf Anfrage bei LIT wird schon mal ein Exemplar versandt. Über die Gründe für dieses Geschäftsgebaren schweigt man sich aus. Selbst die Anfragen von Rummel selbst werden nicht beantwortet. Ein kurzer Blick auf dessen Werk genügt aber, um die Gründe dafür zu erahnen, dass einflussreiche Kreise hierzulande die Deutschen offenbar nicht für reif genug halten, Rummels Fakten und Zahlen zu ertragen. Dass etwa von der UdSSR drei mal mehr Menschen ermordet wurden als von Nazideutschland. Oder dass 1,8 Millionen Deutsche nach dem Zweiten Weltkrieg Opfer eines Genozids wurden, dem man sich hier immer noch lediglich mit der Bezeichnung "Vertreibung" nähern darf, ohne in die revisionistische Schmuddelecke gestellt zu werden.

Um Rummels geringen Bekanntheitsgrad hierzulande ein wenig Abhilfe zu verschaffen, hat das ef-magazin ein ausführliches Interview mit Rudolph Rummel geführt und ist dabei besonders auf jene Geschichtskapitel eingegangen, die in Deutschland gerne tabuisiert oder grotesk verzerrt dargestellt werden.

ef: Ihr Werk ist in Deutschland weitgehend unbekannt, was auch daran liegt, dass der Vertrieb Ihres Buchs vom LIT Verlag auf Eis gelegt wurde. Der Verlag ist noch nicht einmal Ihnen gegenüber bereit, die Gründe dafür mitzuteilen. Was könnten die Ursachen dafür sein?

Rummel: Ich bin auch überrascht, dass die auch mein Buch "Death by Government" nicht wiederaufgelegt haben, welches die umfassendste Historie des Demozids im 20. Jahrhundert darstellt, mit vielen Zahlen (siehe auch www.hawaii.edu/powerkills/note1.htm). Ich bin einfach nicht vertraut mit der Szene in Deutschland, so dass ich nur Mutmaßungen anstellen kann. Und diese Mutmaßungen würden darauf hinauslaufen, dass einigen einflussreichen Deutschen die deutschen Demozidzahlen wohl nicht geschmeckt haben.

ef: Wie ist die Resonanz auf Ihre Demozidzahlen in den USA und anderswo in der Welt? Woran entzündet sich die meiste Kritik?

Rummel: In der Regel ist die Rezeption meiner Veröffentlichungen über Demozid sehr gut. Es gibt allerdings eine Minderheit, die denkt, dass ich ein Rechter sei und meine Zahlen voreingenommen seien oder die früheren kommunistischen Staaten zu stark bedenken, vor allem Kambodscha, China und die UdSSR. Meistens habe ich den Eindruck, dass die Kritiker die Bücher nicht gelesen haben, denn entweder ist es so, dass ich das, was ich ihrer Meinung nach hätte tun sollen, getan habe oder dass ich das, was ich ihrer Meinung nach nicht hätte tun sollen, nicht getan habe. Einige sind sehr aufgebracht, dass ich eine Quelle aus Taiwan oder einer antikommunistischen Liga aufgenommen habe, oder auch mal eines antikommunistischen Flüchtlings, und verstehen dabei nicht, dass ich versucht habe, Quellen von allen Seiten zu verwenden, so dass ich für jede Demozid-Schätzung eine Höchst- und eine Mindestzahl erhalten konnte.

ef: Gemessen an der Zahl der Opfer hat der sowjetische Gulag-Staat mit Abstand die meisten Opfer gefordert. Der "nationalsozialistische Genozidstaat" kommt erst auf Platz drei – nach dem "kommunistischen Ameisenstaat" in China. In Deutschland ist die herrschende Meinung, dass die Nazi-Tyrannei ein singuläres Ereignis der Weltgeschichte ist, was die Dimension des Bösen angeht. Kann man das Ausmaß der Tyrannei bloß anhand der Opferzahlen oder der Opferrate festmachen, oder gibt es darüber hinaus auch so etwas wie einen Gradmesser der demozidalen Qualität, was z.B. die dem Demozid zugrundeliegende Menschenverachtung angeht, die etwa Hitler zu einem schlimmeren Mörder machen würde als Stalin?

Rummel: Nein. Ich denke, dass Demozid nicht nur anhand der Zahl der Ermordeten gemessen werden sollte, sondern auch anhand des Horrors der zugrundeliegenden Tyrannei. Aber hier müssen die Bevölkerungszahl und die Amtszeit des betreffenden Regimes berücksichtigt werden. Die kambodschanischen Roten Khmer waren die absolut schlimmsten, da sie innerhalb von 4 Jahren etwa 2 Millionen Menschen ihres Volkes ermordet haben, ungefähr ein Viertel bis ein Drittel aller Kambodschaner. Gemessen an der kontrollierten eigenen Bevölkerung haben die Sowjets mit einer Jahresrate von 0,42% gemordet, die Khmer Rouge dagegen mit einer Rate von 8,16 und die Deutschen von 0,09%. In dieser Hinsicht, wenn man die Rate des Bösen bewerten will, waren die Roten Khmer die schlimmsten.

Doch ich nehme aufgrund solcher Daten keine Rangliste des Bösen vor. Wenn Millionen Menschen von einem Regime ermordet werden, ist dies so offensichtlich böse und unmenschlich, dass nichts weiteres gesagt werden muss. Es wäre so, als wenn man fragen würde, was übler sei: Ein Kind mit dem Hammer oder einem Messer zu metzeln. Stalin, Hitler, Mao, Pol Pot und einige andere waren absolut böse. Eine Qualifizierung des Bösen muss hier nicht mehr vorgenommen werden.

ef: Der Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki sowie das Flächenbombardements deutscher Städte wie Dresden sind für Sie demozidale Akte, da der Tod Hunderttausender unschuldiger Zivilisten billigend in Kauf genommen wurde. Mildert der Umstand, dass die Alliierten im Krieg nicht der Erstaggressor waren, die Qualität dieses Demozids ab?

Rummel: ... Nicht für mich.

ef: ... Oder sind die Verantwortlichen ebenso als Kriegsverbrecher anzusehen wie die Akteure der Gegenseite?

Rummel: Ich kümmere mich nicht um die Gründe, denn absichtlich Zivilisten zu ermorden, ist und bleibt Mord. Wenn jemand es schwierig findet, dies für die Mörder von Zivilisten des Aggressors zu akzeptieren, muss der sich fragen, wie man den Mord von Kindern oder Leuten, die nichts mit dem Regime zu tun hatten oder sogar vielmehr in Opposition zu dessen Aggression standen, qualifizieren kann.

ef: Sie zählen etwa 1,86 Millionen deutschstämmige Genozidopfer der ethnischen Säuberung in Osteuropa kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, davon etwa 1,58 Millionen allein im Gebiet des heutigen Polen. Insgesamt wurden 15 Millionen Deutsche vertrieben. In Deutschland wurden diese Verbrechen von den maßgeblichen Meinungsführern bislang meist als unvermeidbare Folge der Nazi-Verbrechen angesehen und teilweise sogar legitimiert.

Rummel: Damit bin ich nicht einverstanden. Es war regelrechter Genozid, der an ethnischen Deutschen verübt wurde, von denen viele vielleicht gegen Hitlers Eroberungen und Besetzungen waren, oder sie waren Kinder oder dekorierte ehemalige Soldaten, die für das Land gekämpft haben, das sie dann aufgrund ihrer Abstammung ermordet hat. Was Akte genozidalen Mords angeht, sehe ich kaum einen Unterschied, ob jemand erschossen wird, weil er Jude ist oder ethnischer Deutscher. Ich weiß natürlich, dass Juden als zu eliminierendes Ungeziefer angesehen wurden. Doch wenn man sich die Begründungen derer ansieht, die ethnische Deutsche getötet haben, wurde ungefähr die gleiche Sprache gebraucht. Es ist jedoch keine Frage des Sprachgebrauchs, sondern der Absicht und der Tat selbst, was für mich das Böse ausmacht.

ef: Erst seit einigen Jahren wird dieses Geschichtskapitel ein wenig aufgearbeitet. Wie ist Ihre Haltung dazu? Kann es aus pädagogischen Gründen legitim sein, bestimmte Demozide in der Öffentlichkeit zu tabuisieren?

Rummel: Nein. Ich kann zwar die politischen Gründe dafür und die Zurückhaltung, dieses alles aufzuarbeiten, verstehen. Aber es ist falsch. Alle Demozide sind Mord, und Mord sollte als das behandelt werden was es ist: Etwas Böses, Schreckliches und etwas, was für alle Zeiten mit allen möglichen Mitteln ausgelöscht werden sollte.

ef: Sie erwähnen auch Demozide an amerikanischen Indianern (etwa das Gemetzel an 500 bis 600 Pequot-Indianer durch die Puritaner bei Mystic Fort 1637 oder die Vernichtung von 1000 Natchez-Indianern am unteren Mississippi durch die Franzosen 1731 oder von 146 Sioux bei Wounded Knee 1890). Insgesamt zählen Sie zwischen 1789 und 1900 maximal 25000 indianische Demozid-Opfer, die von der US-Regierung und von Siedlern getötet wurden oder die, wie etwa die Cherokee, deportiert wurden. In Mittel- und Südamerika starben dagegen Ihren Angaben zufolge 60 bis 80 Millionen Eingeborene als Ergebnis der europäischen Invasion. Die Zahl 60 Millionen wird in Deutschland dagegen gerne als Zahl der indianischen Opfer allein in den USA genannt, vor allem bei linken und rechten Sozialisten, etwa der NPD (z.B. Voigt-Interview in der JF). Sind Ihre Zahlen in Bezug auf die USA zu optimistisch oder haben wir es hier mit einer grotesken Geschichtsverzerrung in Europa zu tun?

Rummel: Das Problem ist, was man unter Opfern versteht. Die Zahl der Toten durch Krankheiten, die durch die Siedler auf den amerikanischen Kontinent geschleppt wurden, war bestimmt horrend, und vielleicht kommt die Zahl 60 Millionen nahe an die Zahl der Gesamttoten heran, auch wenn ich bezweifele, dass die Bevölkerungszahl damals überhaupt so groß war. Doch dieser nicht-intentionale Tod durch Krankheit wird oft verwechselt mit der Zahl der ermordeten Indianer. Diese Zahl ist überraschend niedrig, verglichen mit den Ermordeten in den europäischen Kolonien wie etwa dem Freistaat Kongo des belgischen Königs (5 bis 11 Millionen Tote). Ein Grund für das Missverständnis ist die große Zahl von Einzelfällen, in denen Indianer durch Bundestruppen massakriert wurden. Auf der Grundlage der europäischen Geschichte denkt man bei Massakern an Tausende und manchmal an Hunderttausende von Toten. Aber in den USA haben wir es tatsächlich mal mit 150 hier, mit 200 da oder 74 Opfern an einem anderen Ort zu tun. Natürlich summiert sich das, aber eben nur auf eine niedrige Zahl im Tausenderbereich und nicht im Hunderttausenderbereich. Natürlich werden antiamerikanische Propagandisten ihr Tun fortsetzen. Aber ich hoffe, dass unvoreingenommene Studenten diese Zahlen etwas näher betrachten werden. Was also Demozid angeht, haben wir es in der Tat mit einer grotesken Verzerrung zu tun, wenn behauptet wird, 60 Millionen Indianer seien in den USA ermordet worden. Wer immer das behauptet, dessen Daten und Quellen würde ich gerne mal sehen.

ef: Sie legen dar, dass es bislang keinen Demozid in und zwischen Demokratien gegeben hat. Ist dieser Umstand im Wesen der Demokratie angelegt oder ist es historisch gesehen noch zu früh, demokratischen Demozid für alle Zukunft auszuschließen?

Rummel: Nein, es liegt wirklich am Wesen der Demokratie. Siehe Kapitel 7 von Saving Lives in www.hawaii.edu/powerkills/ WF.CHAP7.HTM oder, wem das zu kurz ist, Kapitel 13 von Power Kills auf www.hawaii.edu/powerkills/PK.CHAP13.HTM.

ef: Lassen Sie uns einen Punkt Ihrer Demozid-Definition herausgreifen: "Auferlegen todbringender Lebensbedingungen". Fällt darunter z.B. das Verhängen eines Embargos, das die Gesundheitsversorgung der betroffenen Bevölkerung beeinträchtigt?

Rummel: Ja, wenn man weiß, das es todbringend ist, wie das britische Embargo gegen Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg. Das war Demozid und als solchen habe ich es auch bewertet.

ef: Es gibt Berechnungen, dass infolge des UN-Embargos die Kindersterblichkeit im Irak auf das Niveau eines Vierte-Welt-Landes hochgegangen ist, so dass bis zu 1 Millionen Kinder infolge des Embargos gestorben sind. Wäre das Demozid?

Rummel: Nein, weil Nahrung und Medizin nicht Teil des Embargos waren, diese aber von Saddam angeeignet wurden, wie auch der Erlös aus dem Ölverkauf, der für die Versorgung der Bevölkerung gedacht war. Im Endeffekt war es Saddam selbst, der in diesem Fall einen Demozid begangen hat.

ef: Demozid muss nach Ihrer Definition immer vorsätzlich geschehen. Kann es auch Fälle geben, wo dieser Vorsatz nicht unbedingt erkennbar oder gegeben ist? Oder kann es Demozid aus Leichtfertigkeit geben, etwa durch eine Politik, bei welcher der Tod von Bürgern billigend in Kauf genommen wird?

Rummel: Ja. Es ist immer noch Demozid wenn Leute wissentlich andere in Umstände bringen, die zum Verlust ihres Lebens führen, auch wenn letzteres nicht die Absicht war. Beispielsweise haben während des Ersten Weltkriegs Russen die deutschen Kriegsgefangenen in solch schrecklichen und lebensverzehrenden Lagern gehalten, dass Zehntausende von ihnen unnötigerweise an Hunger und Krankheiten starben. Das war Demozid.

ef: Ein Fallbeispiel: Demokratische Politiker machen eine Wirtschafts- oder Gesundheitspolitik, die in erster Linie an der Befriedigung von Lobbygruppen orientiert ist. Es stellt sich heraus, dass durch eine andere Politik mehr Menschen überlebt hätten, etwa durch niedrigere Medikamentenkosten und eine bessere ärztliche Versorgung, durch weniger Beschaffungskriminalität durch eine Legalisierung von Drogen, durch mehr Lebensfreude infolge weniger Entmündigung und mehr Freiheit. Könnte man in solchen Fällen Politiker für den Tod von Menschen verantwortlich machen, und läge hier auch eine Art Demozid vor?

Rummel: Man muss in so einem Fall zeigen, dass dies wissentlich geschieht, unter ruchloser Missachtung der klar tödlichen Folgen. Das ist nicht so klar wie in der Behandlung von Kriegsgefangenen und bei künstlich herbeigeführten Hungersnöten. In Einzelfällen kann man das leicht beweisen, etwa wenn Eltern ihr Kind nackt in einer Kammer ohne Zugang zur Toilette stecken und ihm wenig gesunde Nahrung zukommen lassen und das Kind stirbt dann an Krankheit oder Unterernährung. Das wäre nach amerikanischem Recht Mord.

ef: Gibt es eine mögliche Gesellschaftsform, die vielleicht noch weniger anfällig für Demozid wäre als die jetzige westliche Demokratie?

Rummel: Die westliche Demokratie umfasst mehrere Typen. Die am wenigsten empfängliche für Demozid ist die liberale Demokratie, also eine Demokratie mit maximalen Menschenrechten und einer Herrschaft des Rechts. Unter solchen Regierungen ist mir bislang kein Fall von Demozid an Einheimischen bekannt.

Web-Hinweis:

Ausführliche Darstellung der Demozid-Forschung von Rudolph Rummel auf: www.hawaii.edu/powerkills/

Anmerkung vom 30.11.05: Das Buch "Demozid" ist inzwischen wieder im Buchhandel erhältlich, so auch bei Amazon.



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