Rezension von Joachim Goetz (Nürnberg)

Franz M. Wuketits: Die Selbstzerstörung der Natur.
Evolution und die Abgründe des Lebens
. Patmos Verlag,
Düsseldorf 1999. 192 S., 16 Abb., 39,80 Mark.

Veröffentlicht in Aufklärung & Kritik 2/1999, S. 175-177


In den angelsächsischen Ländern ist es eigentlich eine Selbstverständlichkeit, daß Wissenschaftler ihre Erkenntnisse in klarer, nicht selten auch unterhaltsamer Sprache der Öffentlichkeit vorstellen.

Zu den nicht so zahlreichen Wissenschaftlern deutscher Zunge, die den Anstand und auch die Begabung besitzen, vor ihrem Leser- und Zuhörerpublikum ein gleiches zu tun, gehört Franz M. Wuketits, Jahrgang 1955, in Wien und Graz lehrender Evolutionsphilosoph; mit dem Österreichischen Staatspreis für Wissenschaftliche Publizistik ausgezeichnet, ist er als Autor und Herausgeber zahlreicher Bücher bekanntgeworden.

In der Einleitung zu seinem neuesten Buch greift er das Stichwort "Selbstorganisation" auf, das in der Wissenschaft als neues Paradigma gilt, weil es uns ein besseres Verständnis für die Natur und unsere sozialen und ökonomischen Systeme eröffnen soll. "Selbstorganisation" ist aber nach Wuketits nur die eine Seite der Medaille, denn die "Selbstdestruktion" gehört als wesentliche Triebkraft der Natur untrennbar dazu, ja "(Selbst-)Zerstörung" ist sogar grundlegender Bestandteil der Selbstorganisation.

Damit ist der Titel des Buches angesprochen und das Hauptthema angerissen. Zunächst aus der historischen Perspektive entwickelt der Autor nun seine Gedankengänge zu unserer Vorstellung von Natur.

Rousseaus Maxime "Zurück zur Natur" ist eine naive Verherrlichung der Tatsachen; denn der berühmte Philosoph hat sich mit Biologie nie ernsthaft beschäftigt, und von Evolution im Sinne Darwins konnte er noch nichts wissen. Viele Philosophen und Naturwissenschaftler zeigten und zeigen bis heute eine tiefe, sich bis ins Religiöse steigernde Bewunderung der Natur. Wobei Wuketits ironisch anmerkt, "...daß Biologen für ‘Natursentimentalitäten’ und für den Glauben an Gott im allgemeinen weniger anfällig sind als Physiker, wohl deshalb, weil sie besser als diese mit den ‘dunklen Seiten’ des Lebens vertraut sind und sich hinter dem in der Natur herrschenden Daseinskampf schwer einen gütigen Gott vorstellen können."

Was der Autor über eine Theologie schreibt, die diesen "gütigen Gott" in die Natur einbaut, ergibt sich nach dem bisher Gesagten von selbst.

Diesen romantisierenden und religiösen Ideen werden nun die brutalen Tatsachen der Evolutionslehre Darwins gegenübergestellt, wonach es in der Natur nur ums Fressen und Gefressenwerden geht und danach um die Weitergabe der Gene. Das hat einen erbarmungslosen Verdrängungswettbewerb zur Folge nicht nur der Arten untereinander sondern auch innerhalb der Arten, nicht nur in der Tier- sondern auch in der Pflanzenwelt.

Der heutige Mensch kann zwar Raubtierzähne und Krallen nicht vorweisen, hat aber mit seinen modernen Waffensystemen ein Zerstörungspotential geschaffen, das alle Mordinstrumente von Tieren und Pflanzen in den Schatten stellt.

Im folgenden erläutert Wuketits seine These von der Selbstorganisation auch und gerade durch (Selbst-)Zerstörung näher und bezieht sie auf die Katastrophen der Erdgeschichte. Die fünfte und zugleich bekannteste vor ca. 65 Millionen Jahren führte zum Aussterben der Saurier, was aber erst die breite Entwicklung der Säugetiere bis hin zum Homo sapiens ermöglichte.

Der Autor möchte den fünf Phasen des Massenaussterbens noch eine sechste vor rund zwölftausend Jahren hinzufügen. Viele Großsäugetiere starben damals aus, woran wohl nicht nur das Ende der Eiszeit sondern bereits auch der Mensch beteiligt war. Das Auftreten des Menschen, anscheinend als Folge einer Naturkatastrophe, bringt nur insofern einen neuen Aspekt in den Evolutionsablauf hinein, als sich die Katastrophen nun beschleunigen. Genau aus diesem Grund, so meint Wuketits, gehört der heutige Mensch wahrscheinlich zu den "Auslaufmodellen" der Evolution. In der Katastrophengeschichte des Universums freilich nicht mehr als eine "Fußnote".

Nach dieser ernüchternden Feststellung wendet er sich dem mit bedrohlichem Tempo fortschreitenden Artensterben der Gegenwart zu.

Und warum Artenschutz? Der Autor hält nichts vom biozentrischen Argument, nämlich Lebensrecht pauschal für alle Lebewesen. Die Vorstellung, der Mensch sei "Treuhänder der Evolution", ist unrealistisch. Motivierend für den Artenschutz hält er das antropozentrische Argument. Es rechnet mit unserem phylogenetisch bedingten, ganz "natürlichen" Egoismus. Arten- und Lebensraumschutz sichern uns Lebensqualität und vor allem das Überleben selbst. Ein Beispiel ist das Bemühen um die Rettung des Tropenwaldes. Unzählige chemische Problemlösungen, etwa auch zur Herstellung von Medikamenten, liegen in den "biologischen Archiven der Pflanzen und Tiere" und gehen durch die Zerstörung der Regenwälder für immer verloren.

Kommen wir zum Resümee! Angesichts der Katastrophengeschichte des Kosmos und – darin eingeschlossen – der Katastrophengeschichte unseres winzigen Planeten, erhebt sich natürlich die Frage nach dem "tieferen Sinn" des Ganzen. Schließlich ist unser Autor Evolutionsphilosoph. Hat er Antworten? Zunächst hat er eine Antwort, die ihm übrigens kürzlich in einer Rezension der FAZ ein bißchen übelgenommen wurde. Er ist nämlich der Ansicht, daß man mit einer Naturgeschichte als Katastrophengeschichte "viel einfacher" fertig wird, "...wenn man sich die krampfhafte Suche nach Sinn erst gar nicht aufbürdet."

Dazu meint die FAZ: "Schade!"

Aber was soll "schade" daran sein, wenn wir uns von allerlei metaphysischem, philosophischem und religiösem Ballast verabschieden, welcher der Menschheit in der Vergangenheit oft genug geschadet hat und heute noch Schaden zufügt in ihrer "krampfhaften" Suche nach Sinn und Geborgenheit!

Der Autor hat noch eine weitere Antwort, mit der er "Ja" zum Leben sagt und mit der er ebenfalls zu Wort kommen sollte: "‘Ja’ zum Leben bedeutet, den Tatsachen ins Auge zu sehen: die Natur nicht nur in ihren uns angenehm erscheinenden Aspekten zu sehen, sondern auch ihre ‘ewigen Zyklen’ von Leben und Sterben, Geburt und Tod, Aufbau und Zerstörung zu erkennen und zur Einsicht gelangen, daß sich selbst ein Leben in diesem Schlamassel für jeden einzelnen von uns lohnen kann, wenn auch nur für begrenzte Zeit und ohne irgendeine noch so vage Aussicht auf das Paradies.– Für verwöhnte Romantiker und Schwärmer ist das gewiß zu wenig. Aber uns anderen bleiben dafür große Enttäuschungen erspart. Schließlich mag es als großartige Aussicht gewertet werden, daß wir grundsätzlich in der Lage sind, die Natur und unsere eigene Position in ihr zu erkennen."

Na also!



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