Dieter Birnbacher

Das Dilemma des Personenbegriffs

Publiziert in: Birnbacher: Das Dilemma des Personenbegriffs. In: Peter Strasser/Edgar Starz (Hrsg.):
Personsein aus bioethischer Sicht. Stuttgart 1997 (ARSP-Beiheft 73), 9-25.

 

1. Einleitung: Der Streit um den Personenbegriff in der Bioethik

Wer die gegenwärtige Bioethik-Szene nicht genauer kennt, müßte sich wundern über die Rolle, die der Begriff der Person in zahlreichen kontroversen Fragen des Umgangs mit menschlichem und tierischem Leben übernommen hat. Insbesondere bei den brisanten ethischen Fragen an den Grenzen des menschlichen Lebens wie Abtreibung, Früheuthanasie, Behandlungsabbruch und Sterbehilfe wird dem Personenbegriff seit einiger Zeit nicht weniger als eine Schlüsselfunktion zugewiesen. Zugleich aber drängt sich der Eindruck auf, daß der Personenbegriff die Debatte eher lähmt als befruchtet. In demselben Maße, in dem der Personenbegriff ins Spiel gebracht wird, scheinen Diskussionen über den moralisch richtigen Umgang mit menschlichen Embryonen und Föten, mit irreversibel Bewußtlosen und mit hochgradig Dementen zur Ergebnislosigkeit verurteilt. Der Begriff scheidet die Geister und führt eher zu einer Verhärtung der Standpunkte als zu einer konsensorientierten Auseinandersetzung.

Die Erklärung liegt auf der Hand. Der Streit um den Personenbegriff ist kein bloßer Streit um Begriffsinhalte, sondern ein Streit zwischen durchweg antithetischen normativ-ethischen Doktrinen. Wenn die Frage "Wie hältst Du's mit der Person?" in der gegenwärtigen Bioethik wortwörtlich zur Gretchenfrage geworden ist, die über Aufnahme oder Abbruch kollegialer Beziehungen entscheidet, dann nicht wegen irgendwelcher semantischer Differenzen darüber, wie der sprachliche Ausdruck "Person" genauer zu verstehen ist, sondern wegen substantiell moralischer Differenzen darüber, auf wen dieser Ausdruck anzuwenden ist. Nicht was eine Person ist, ist kontrovers, als vielmehr wer eine Person ist: Sind nur menschliche oder auch außermenschliche Wesen Personen? Sind alle Menschen (oder menschlichen Wesen) Personen oder nur diejenigen, die bestimmte "personale" Merkmale aufweisen? Was die Debatte zusätzlich unübersichtlich macht, ist daß der Begriff "Person" zwar durchweg als ein präskriptiver Begriff verwendet wird – ein Begriff, der Pflichten und Rechte zuschreibt –, daß aber (ähnlich wie bei dem Begriff "Menschenwürde") über diesen Begriff so gestritten wird, als ginge es dabei um eine bloße Frage der Beschreibungsadäquatheit – um eine Frage, die statt in den Kompetenzbereich der normativen Ethik in den deskriptiver Disziplinen wie der Anthropologie oder der Metaphysik fällt.

In diesem Streit stehen sich – in idealtypischer Polarisierung – zwei "Schulmeinungen" gegenüber: auf der einen Seite die Auffassung, daß zwar nicht die Bedeutungen, aber die Begriffsumfänge der Begriffe "Mensch" und "Person" deckungsgleich sind, so daß alle Personen Menschen und alle Menschen bzw. menschliche Wesen Personen sind. Danach kommen allen Menschen bzw. allen menschlichen Wesen die sich aus dem Personenstatus ergebenden moralischen Ansprüche und Rechte zu, und nur diesen kommen diese Ansprüche zu. Diese Auffassung werde ich im folgenden "Äquivalenz-Doktrin" nennen. Sie wird in Europa vor allem von Theologen und christlich geprägten Philosophen vertreten. Vielen dieser Autoren gilt die Aussage "Der Mensch ist Person" so axiomatisch, daß sie etwa die Begriffe "Menschenwürde" und "Personwürde" austauschbar verwenden. Daß ein Wesen Mensch ist, wird bereits für sich selbst als hinreichend dafür angesehen, daß diesem Wesen die für Personen charakteristischen moralischen Rechte zukommen. Zwischen Menschsein und dem Besitz moralischer Rechte (wie Lebensrecht und Recht auf körperliche Unversehrtheit) wird eine direkte Begründungsbeziehung gesehen.

Auf der anderen Seite stehen diejenigen, für die die Begriffe "Mensch" und "Person" nicht nur der Intension, sondern auch der Extension nach voneinander abweichen. An den "Rändern" gehen die Begriffe auseinander: Einige Menschen bzw. menschliche Wesen sind keine Personen. Nicht alle, aber zumindest die radikaleren Vertreter dieser Position leugnen darüber hinaus, daß alle Personen Menschen oder menschliche Wesen sind und schreiben den Personenstatus auch bestimmten hochentwickelten Nicht-Menschen zu, etwa realen Menschenaffen oder hypothetischen Computern. Diese Position werde ich im folgenden "Nichtäquivalenz-Doktrin" nennen. Für sie ist charakteristisch (wenn auch nicht zwingend) daß die Begründungsbeziehung zwischen dem Besitz des Personenstatus und dem Besitz moralischer Rechte als indirekt aufgefaßt wird: Personen kommen diese Rechte nicht vermöge ihres Status als Personen zu, sondern vermittels bestimmter Interessen oder Bedürfnisse, die sie als Personen besitzen. Während für die Vertreter der Äquivalenz-Doktrin die Zuschreibung von Rechten statusorientiert ist, ist die Zuschreibung von Rechten für die Vertreter der Nichtäquivalenz-Doktrin interessenorientiert: Freiheitsrechte (Rechte, nicht daran gehindert zu werden, etwas zu tun oder nicht zu tun) werden Personen zugeschrieben, weil sie ein Interesse an Selbstbestimmung und Freiheit von äußerem Zwang haben, Anspruchsrechte (Rechte, etwas Positives zu bekommen bzw. von etwas Negativem verschont zu bleiben), weil sie ein Interesse an Leben, Leidensfreiheit, Wohlbefinden und sinnvoller Tätigkeit haben. Eine Person hat Freiheitsrechte nicht schon deswegen, weil sie zur Freiheit fähig ist, sondern weil nur wer zur Freiheit fähig ist, ein Interesse an Freiheit hat. Fähigkeiten spielen in der Nichtäquivalenz-Doktrin eine Rolle lediglich als Vorbedingungen von Bedürftigkeiten.

 

2. Konsensbereiche und die Bedingungen von Personalität

Der Personenbegriff wird in der Philosophie in einer verwirrenden Vielfalt von Bedeutungen verwendet. Das Spektrum der Bedeutungen ist weit. Das eine Extrem wird durch John Lockes rechtsphilosophischen Personenbegriff markiert, nach dem der Mensch nur in bestimmten Phasen seiner Existenz als Person existiert (weder das Neugeborene noch der Greis im Stadium fortgeschrittener Demenz ist Person) und darüber hinaus in seiner Lebenszeit nacheinander verschiedene – jeweils für verschiedene Handlungen verantwortliche – Personen verkörpert (Locke, Essay on human understanding, Buch 2, Kap. 27). Am anderen Ende des Spektrums steht der Personenbegriff einiger katholischer Moraltheologen, nach dem bereits der befruchteten menschlichen Eizelle Personenstatus zukommt: Um Person zu sein, genügt es, daß ein lebendes Individuum das für den Menschen charakteristische Genom besitzt.

Auf dem Hintergrund dieser Spannbreite der Positionen ist es im Grunde erstaunlich, daß in der gegenwärtigen Bioethik der Personenbegriff zwar im einzelnen recht unterschiedlich definiert wird, daß man sich aber dennoch über die grundlegenden semantischen Eigenschaften des Personenbegriffs einig ist.

Erstens wird von nahezu allen Diskutanten – zumindest implizit – anerkannt, daß der Personenbegriff nicht rein deskriptiv, sondern präskriptiv zu verstehen ist. Anders als der Begriff Homo sapiens ist der Personenbegriff durch normative Bedeutungsanteile charakterisiert, die bewirken, daß bei seiner Zuschreibung ethische und rechtliche Kriterien ins Spiel kommen. Die Aussage, daß ein Wesen eine Person ist, wird so verstanden, daß diesem Wesen damit – und nicht erst aufgrund eines zusätzlichen normativen Prinzips – ein bestimmter moralischer Status und bestimmte Rechte zugeschrieben werden, z.B. das Recht, nicht versklavt oder in einer totalen und dauerhaften Weise instrumentalisiert zu werden.

Selbstverständlich kann der Personenbegriff auch ohne alle normativen oder evaluativen Komponenten gefaßt und dann in einem rein deskriptiven Sinne verstanden werden. So wird der Begriff ja auch in der Alltagssprache verwendet: "Wieviele Personen dürfen mit diesem Aufzug fahren?", "Wieviele Personen haben den Unfall gesehen?" Auf eine Analyse dieses Alltagsbegriffs zielt etwa Strawsons rein deskriptive Analyse des Personenbegriffs im Rahmen seiner "deskriptiven Metaphysik" (vgl. Strawson 1958 und 1972, Kap. 3). Ein rein deskriptiver Personenbegriff wird zumeist auch im Kontext des philosophischen Problems der diachronen und synchronen "Personenidentität" unterstellt: Aufgrund welcher Kriterien sind Dr. Jekyll und Mr. Hyde ein und dieselbe Person? Handelt es sich im Fall einer sogenannten "multiplen Persönlichkeit" um eine oder zwei Personen? Im Kontext von Identitätsfragen – wie auch in anderen Kontexten außerhalb der Bioethik – bedeutet "Person" gewöhnlich nichts anderes als "Mensch" oder "menschliches Individuum", ist die Frage nach der Identität, Kontinuität oder Einheit der Person unabhängig von der Frage nach dem Personenstatus im ethischen Sinn. Dagegen ist in der Bioethik ein rein deskriptiver Personenbegriff selten – auch wenn einflußreiche Autoren sich einen rein deskriptiven Personenbegriff – wie Peter Singer – entweder ausdrücklich zueigen gemacht (vgl. Singer 1994, 120) oder – wie Joel Feinberg und LeRoy Walters – zumindest als Option gelten gelassen haben (vgl. Feinberg 1982, 108; Walters 1982, 87).

Gelegentlich wird der Personenbegriff auch rein normativ verstanden, etwa bei dem durch seine Rechtfertigung der Kindstötung berüchtigten Ethiker Michael Tooley und bei dem im Zusammenhang mit dem Great Ape Project bekannt gewordenen Tierethiker Steve Sapontzis. Tooley verwendet den Personenbegriff ausdrücklich "als reinen Moralbegriff, frei von jedem deskriptiven Inhalt" (Tooley 1990, 159); für Sapontzis sind Personen Wesen, "von denen Moralität oder Gesetz sagen, daß wir sie als moralisch oder rechtlich Handelnde fair behandeln müssen und sie nicht, wie Kant sagen würde, als bloße Mittel zur Befriedigung unserer Interessen behandeln dürfen" (Sapontzis 1993, 412). Beide Bestimmungen des Personenbegriffs lassen es offen, welche Art von Wesen Personen sind. Die Tatsache, daß Personen überwiegend Menschen sind, ist im Rahmen dieser Konzeptionen ein kontingentes Faktum. Personalität besagt nur, daß einem Wesen bestimmte Rechtsansprüche zukommen; sie besagt nicht, wie derjenige, dem diese Ansprüche zukommen, näherhin beschaffen ist.

Typischerweise wird der Personenbegriff in den Diskussionen innerhalb der Bioethik als gemischt normativer Begriff verwendet – als ein Begriff mit sowohl deskriptiven als auch präskriptiven Anteilen. Die Verknüpfung des Begriffs "Person" mit bestimmten Rechtsansprüchen ist dabei eindeutig eine semantische oder begriffslogische Verknüpfung – eindeutiger als bei anderen Begriffen, die zur Begründung solcher Rechte gemeinhin herangezogen werden, etwa der Begriffe "Mensch" oder "Leben". Zwar impliziert auch der, der behauptet, daß der menschliche Embryo oder Fötus ein Mensch sei, gewöhnlich nicht nur, daß es sich beim menschlichen Embryo und Fötus um ein zur biologischen Gattung homo sapiens gehörendes Wesen handelt, sondern daß diesem bestimmte Rechte, insbesondere ein Recht auf Leben zukommt. Das scheint etwa impliziert in dem Satz des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil zur Fristenlösung vom 28. Mai 1993 , daß sich das "Ungeborene ... nicht zum Menschen, sondern als Mensch" entwickelt. Ähnliches gilt für den Begriff "menschliches Leben". Wer die Frage nach dem Beginn des menschlichen Lebens stellt, erwartet von der Antwort zumeist eine Antwort auf die Frage nach dem Beginn des Lebensrechts. Während allerdings die normative Komponente beim Personenbegriff den semantischen Status einer logischen Implikation hat, hat sie in diesen Fällen eher nur den Status einer (Griceschen) Implikatur. Einem Menschen oder menschlichen Wesen das Lebensrecht abzusprechen, mag ethisch falsch sein; es ist aber nicht in derselben Weise logisch falsch, in der es logisch falsch ist, einer Person das Lebensrecht abzusprechen. "Mensch" und "Leben" sind als Begriffe zu eindeutig in einem primär deskriptiven Sprachspiel beheimatet, als daß die Konnotationen, die in ihrer Verwendung in normativen Kontexten zum Tragen kommen, zu Teilen ihrer Bedeutung geworden wären. Dagegen ist die normative Komponente aus dem Personenbegriff, so wie er in der Ethik verwendet wird, schwerlich wegzudenken. John Locke – so unbefriedigend seine Personenkonzeption im einzelnen sein mag – befand sich also durchaus auf dem richtigen Weg, als er den Begriff "Person", anders als den Begriff "Mensch", in einem normativen, nämlich forensischen Kontext ansiedelte.

Die explizite oder implizite Anerkennung der Präskriptivität des Personenbegriffs ist aber nur ein Aspekt der tiefgreifenden Übereinstimmung im Verständnis des Personenbegriffs. Wichtiger ist, daß beide Seiten den Personenstatus an im wesentlichen dieselben Bedingungen knüpfen, nämlich an den Besitz bestimmter kognitiver und moralischer Fähigkeiten. "Personen sind Subjekte des Könnens", schreibt Robert Spaemann (1991, 140) als dezidierter Vertreter der Äquivalenz-Doktrin, wobei für ihn die Fähigkeit zu intentionalen Akten, also zum Urteilen, Denken und Handeln, im Mittelpunkt steht. Diese Position unterschiedet sich von der seines Antagonisten Peter Singer, der Personalität an die Fähigkeiten zu Denken und Selbstbewußtsein bindet, nur in Nuancen. Übereinstimmungen finden sich nicht nur im Grundsätzlichen – , daß wer mehr kann, auch mehr Rechte hat –, sondern auch in den einzelnen Fähigkeitskatalogen. Getreu der klassischen Definition der Person des Boethius "Persona est naturae rationabilis individua substantia" (Person ist die individuelle Substanz der vernünftigen bzw. vernunftfähigen Natur) sehen sowohl die Vertreter der Äquivalenz- als auch die Vertreter der Nichtäquivalenz-Doktrin den Personenstatus an einer mehr oder weniger anspruchsvoll verstandene Vernunftfähigkeit geknüpft, wobei für manche die für die Person kennzeichnende Vernunftfähigkeit ausschließlich kognitiv, für andere zusätzlich auch moralisch bestimmt ist. Im einzelnen reichen die Anforderungen von Minimalbedingungen bis zu ausgesprochenen Idealforderungen:

A. Kognitive Fähigkeiten:

1. Intentionalität, Fähigkeit zu Urteilen
2. zeitliche Transzendenz der Gegenwart (Zukunftsbewußtsein/Erinnerungsfähigkeit)
3. Selbstbewußtsein, Ichbewußtsein
4. Selbstdistanz, Präferenzen zweiter Stufe
5. Rationalität, Vernünftigkeit

 

B. Moralische Fähigkeiten

1. Autonomie, Selbstbestimmung
2. Moralität, Moralfähigkeit
3. Fähigkeit zur Übernahme von Verpflichtungen
4. Fähigkeit zur kritischen Selbstbewertung

In den meisten Personenkonzeptionen stehen die jeweils geforderten Bedingungen nicht allein, sondern werden mit anderen "gebündelt" , so etwa die Merkmale A1, A2 und A3 bei Locke und Peter Singer, die Bedingungen A3, A4 und B4 bei Hegel und Daniel Dennett. Wenn ich hier auf diese Feinheiten nicht näher eingehe, dann deswegen, weil mein Ziel nicht die Analyse alter und neuer Personenkonzeptionen ist, sondern deren Kritik: Meine kritische These lautet: Jede der sich gegenüberstehenden Doktrinen handelt sich mit der Berufung auf den Personenbegriff Probleme ein, die es ohne Substanzverlust vermeiden könnte. Die Berufung auf den Personenbegriff leistet beiden Positionen einen Bärendienst. Anstatt sie zu stärken, schwächt sie die Überzeugungskraft ihrer Thesen und läßt ihre Schlußfolgerungen unnötig dubios erscheinen – dubioser, als es bei Wahl einer anderen Zugangsweise der Fall wäre.

Ich möchte dies zuerst für die Äquivalenz-Doktrin, danach für die Nichtäquivalenz-Doktrin zeigen.

 

3. Das Dilemma der Äquivalenz-Doktrin

Das Dilemma der Äquivalenz-Doktrin ist ein doppeltes Dilemma. Erstens ist ihr Argumentationsziel, die Umfangsgleichheit der Prädikate "menschlich" und "Person" von vornherein wenig plausibel. Zweitens sind die von ihren Vertretern vorgebrachten Argumente wenig geeignet, die Äquivalenz von Mensch- und Personsein wirklich zu begründen.

Es gibt hinreichend bekannte Beispiele für Wesen, denen nicht abzusprechen ist, daß sie menschliche Individuen sind – in dem Sinne, daß sie die charakteristischen biologischen Merkmale des Menschen aufweisen –, für die es aber entweder logisch ausgeschlossen oder zumindest semantisch hochgradig kontraintuitiv ist, sie als Personen zu bezeichnen.

Das erste Beispiel ist der menschliche Leichnam. Zwar sagen wir gewöhnlich nicht, daß der menschliche Leichnam ein Mensch ist – das würde nahelegen, er sei ein lebender Mensch –, aber der menschliche Leichnam ist dennoch unverkennbar menschlich, gehört unverkennbar zur biologischen Gattung Mensch, so wie eine tote Katze zur biologischen Gattung Katze und eine abgestorbene Buche zur biologischen Gattung Buche gehört. Dennoch scheint es semantisch ausgeschlossen, den Leichnam als Person zu bezeichnen. Personen können immer nur lebende Menschen sein.

Auch scheint der Leichnam als Träger moralischer Rechte kaum in Frage zu kommen, und zwar deshalb, weil er weder gegenwärtig noch zukünftig von der Wahrnehmung seiner Rechte subjektiv betroffen sein kann. Zwar haben wir moralische Pflichten im Umgang mit dem menschlichen Leichnam, z. B. die Pflicht, diesen nicht entwürdigend zu behandeln und mit ihm nicht pietätlos umzugehen. Diese Pflichten sind jedoch indirekter Art. Sie sind nicht dem Leichnam selbst geschuldet und schützen nicht dessen etwaige eigenen Interessen. Geschützt werden durch diese Pflichten vielmehr einerseits Interessen des Verstorbenen zu Lebzeiten, andererseits Interessen Dritter, die davon, wie mit dem Leichnam umgegangen wird, nicht unberührt bleiben, etwa aus Gründen persönlicher Verbundenheit – wie bei den Nahestehenden – , oder – wie bei der breiten Öffentlichkeit – um eine kulturell etablierte Haltung der Achtung vor den Toten nicht ohne Not zu schwächen. Wenn jemand im Zusammenhang mit einem würdigen und pietätvollen Umgang mit dem menschlichen Leichnam ein moralisches Recht hat, dann nicht der menschliche Leichnam, sondern der lebende Mensch, dessen Rechte teilweise über seinen Tod hinaus fortwirken.

Ein anderes Beispiel ist die menschliche Zygote, der menschliche Embryo in seinem frühesten Stadium. Auch hier handelt es sich im biologisch-genetischen Sinn eindeutig um ein menschliches, der Gattung Mensch zugehöriges lebendiges Wesen. Sofern es sich später nicht noch teilt, ist es dasselbe Wesen wie das später bewußtseins- und selbstbewußtseinsfähige menschliche Individuum. Aber auch wenn in diesem Fall von der Überschreitung einer im eigentlichen Sinne logischen Grenze nicht die Rede sein kann und eine "personale Zygote" kein schlichter Widerspruch ist, scheint es mir doch hochgradig kontraintuitiv, vom menschlichen Embryo bereits in dieser frühen Entwicklungsphase zu sagen, er sei eine Person. Genau dies müßte jedoch der Fall sein, würden "menschliches Wesen" und "Person" lückenlos zusammenfallen.

Das erste Dilemma berührt ausschließlich die äußersten Randbereiche der menschlichen Existenz. Das zweite Dilemma dagegen ist gravierender und trifft die Äquivalenz-Doktrin ins Herz.

Das zweite Dilemma läßt sich auf die Tatsache zurückführen, daß die Tendenz, Personalität in Fähigkeiten zu fundieren, vom angestrebten Ziel – der Deckungsgleichheit der Begriffsumfänge von "Mensch" und "Person" – zwangsläufig wegführen muß. Für jede angebbare Fähigkeit lassen sich Wesen angeben, die im biologischen Sinn menschlich sind, aber jene Fähigkeiten nicht haben. Je strenger die Bedingungen für den Personenstatus, desto geringer der Anteil der Personen an den menschlichen Wesen. Am deutlichsten zeigt sich das bei den von Kant und den Deutschen Idealisten favorisierten moralischen Bedingungen. Versteht man Moralität in einem Kantischen Sinn, nämlich als Fähigkeit, sich in seinem Denken (nicht notwendig auch im faktischen Verhalten) an strikt universalen moralischen Normen zu orientieren, wäre der Personenstatus das Privileg jener relativ wenigen Menschen, die nicht – wie die meisten – in der Entwicklung ihres moralischen Urteils auf den nach Lawrence Kohlberg "konventionellen" Stufen 3 und 4 stehengeblieben sind.

Von den Deutschen Idealisten scheint sich allein Fichte – darauf hat Ludwig Siep (1993, 39, vgl. Siep 1992) hingewiesen – mit den sich aus seiner Personenkonzeption ergebenden radikalen ethischen Konsequenzen konfrontiert zu haben. Allein Fichte war so konsequent (aber auch so herzlos), menschlichen Neugeborenen ein eigenständiges Lebensrecht vorzuenthalten und einen (bedingten) rechtlichen Schutz lediglich aus Gründen des Staatserhalts herzuleiten.

Das Problem ist freilich allgemeiner: Für den Äquivalenz-Theoretiker muß sich die Frage stellen, wie er begrifflich (aber dann auch praktisch) mit Menschen umgeht, die

– die relevanten Fähigkeiten nicht mehr besitzen, wie z. B. menschliche Leichname, aber auch irreversibel Bewußtlose und irreversibel Demente,
– die relevanten Fähigkeiten noch nicht besitzen, z. B. menschliche Embryonen und Föten,
– die relevanten Fähigkeiten nicht besessen haben und nicht besitzen werden, z. B. anenzephale Neugeborene.

Um dieses Problem zu lösen, sind innerhalb der Äquivalenzdoktrin unterschiedliche Argumentationsstrategien entwickelt worden:

1. das Argument, ein psychischer oder biologischer Defekt, der die Ausübung der relevanten Fähigkeiten verhindere, sei mit dem Personenstatus vereinbar (Anti-Aktualismus-Argument),
2. das Argument, ein Mensch sei auch dann Person, wenn er die Anlage zur Ausbildung der relevanten Fähigkeiten besitzt (individuelles Potentialitätsargument),
3. das Argument, ein Mensch sei auch dann Person, wenn er mit einem früheren oder späteren Menschen identisch ist, der die relevanten Fähigkeiten besitzt (Identitätsargument),
4. das Argument, ein Mensch sei auch dann Person, wenn er zu einer biologischen Gattung gehört, deren normale Mitglieder die relevanten Fähigkeiten besitzen (generisches Potentialitätsargument).

Das Dilemma der Äquivalenz-Doktrin besteht wesentlich darin, daß keine dieser Argumentationsstrategien zu überzeugen vermag.

1. Wir unterscheiden zwischen der Anlage, dem Besitz und der Ausübung einer Fähigkeit. Es versteht sich, daß wenn für den Personenstatus der Besitz bestimmter kognitiver und moralischer Fähigkeiten ausschlaggebend ist, die mangelnde Ausübung dieser Fähigkeiten kein Grund ist, den Personenstatus abzusprechen. Nicht jeder, der Klavier spielen kann, spielt tatsächlich Klavier: vielleicht hat er kein Klavier, oder es bietet sich keine Gelegenheit. Fähigkeiten sind Dispositionseigenschaften, die einem Subjekt auch dann zugeschrieben werden können, wenn es sie nicht aktualisiert. Andererseits reicht aber die bloße Anlage zum Zusprechen der Fähigkeit nicht aus. Nicht jeder, der zum Klavierspielen begabt ist, kann Klavier spielen. Biologische und psychische Defekte verhindern nicht nur die Ausübung von Fähigkeiten, sondern vielfach auch deren Erwerb. Fehlten mir Hände, würde ich die Fähigkeit des Klavierspiels nicht nur nicht ausüben, sondern auch nicht erwerben können. Wer in diesem Fall sagen wollte, daß ich dennoch die Fähigkeit des Klavierspielens besitze (etwa weil ich dazu begabt bin), sie aber infolge bestimmter ungünstiger Bedingungen nicht entwickeln kann, kann nur die Anlage und nicht die Fähigkeit meinen.

Es führt kein Weg daran vorbei, daß wenn der Personenstatus an bestimmte Fähigkeiten gekoppelt wird, der Besitz dieser Fähigkeiten – und nicht der Besitz der Fähigkeit zum Erwerb dieser Fähigkeiten – über den Personenstatus entscheidet. Diese Konsequenz läßt sich auch nicht durch eine metaphysische Verdoppelung des Menschen vermeiden, etwa so, daß einem Menschen "hinter" dem empirischen Menschen die Fähigkeiten zugeschrieben werden, die dem empirischen Mensch abgehen – so wie es Spaemann zu intendieren scheint, wenn er die Person als "Geheimnis" apostrophiert, das uns gerade wegen seiner Unzugänglichkeit Ehrfurcht gebietet (1993, 139). Wenn es wirklich so wäre, daß, wie Spaemann meint, alle Beschreibungen des empirischen Menschen lediglich Zeichen für die Beschaffenheit dieses metaphysischen Menschen wären, nämlich Zeichen, "in denen sich Personen zu erkennen geben", würde sich sofort die Frage stellen, warum wir uns denn an dem postulierten metaphysischen und nicht an dem empirischen Menschen orientieren sollen. Zwar teilt nahezu die gesamte abendländische Tradition die platonische Voraussetzung , daß das metaphysisch Höhere auch das moralisch Höhere ist und daß ein metaphysischer Status bestimmte Verpflichtungen nach sich zieht. Aber diese Voraussetzung ist (wie etwa Schopenhauer gezeigt hat) alles andere als selbstverständlich. Überdies hat jede solche metaphysische Konstruktion den Pferdefuß, daß damit die Zuschreibung des Personenstatus von höchst unsicheren Annahmen abhängig wird. Ob ein Mensch Person ist, würde von so spekulativen Überzeugungen abhängen wie daß der Mensch ein intelligibles Ich, eine substantielle Geistseele oder einen "self-conscious mind" besitzt – mit der mißlichen Konsequenz, daß man sich mit nicht mehr problemlos über Personen verständigen könnte und paradoxerweise ein Materialist den Personenbegriff gar nicht mehr gebrauchen könnte. Falls wir den Allgemeingültigkeitsanspruch der Ethik aufrechterhalten wollen, könnten wir uns nicht einmal an einer solchen metaphysischen Konzeption orientieren, denn dann würde die moralische Norm nur noch für die nachvollziehbar sein, die an die metaphysische Person hinter dem empirischen Menschen glauben.

2. Damit ist auch bereits das zweite Argument abgewiesen: Wenn Personalität durch Fähigkeiten konstituiert ist, reicht die bloße Anlage zu diesen Fähigkeiten nicht hin, einem Menschen Personenstatus zu verleihen. Man kann eine Anlage als Fähigkeit zweiter Stufe verstehen, als die Fähigkeit, eine entsprechende Fähigkeit zu erwerben. Wer die Anlage zum Klavierspielen hat, hat die Fähigkeit, die Fähigkeit des Klavierspiels zu erwerben. Wer die Anlage zu Denkfähigkeit und Selbstbewußtsein hat, hat die Fähigkeit, diese Fähigkeiten zu erwerben. Aber damit hat er die entsprechende Fähigkeit noch nicht. Menschen oder menschliche Wesen, die wie – normale menschliche Embryonen oder Föten – die Anlage zur Personalität haben, sind damit noch nicht Personen. Personen sind, wie Spaemann (1993, 140) zu Recht – wenn auch in anderer Absicht – bemerkt, immer wirklich.

Darüber hinaus ist ersichtlich, daß selbst wenn das zweite Argument akzeptabel wäre, es nicht viel austragen würde. Es wäre auf Noch-nicht-Personen anwendbar, nicht aber auf Nicht-mehr-Personen sowie auf Menschen, die von ihrer genetischen Anlage her nicht in der Lage sind, die für Personalität konstitutiven Bedingungen zu erfüllen. Diese Schwäche teilt es mit dem dritten, dem Identitätsargument, das lediglich auf Menschen anwendbar ist, die diese Fähigkeiten irgendwann einmal hatten oder haben werden.

3. Das Identitätsargument besagt, daß menschlichen Embryonen und irreversibel Bewußtlosen derselbe Personenstatus zukommt wie normalen Erwachsenen, weil sie identisch sind mit den Personen, die sie einmal waren bzw. zu denen sie sich normalerweise oder günstigstenfalls entwickeln. Auch wenn man davon absieht, daß mit diesem Argument die direkte Fundierung des Personenstatus in Fähigkeiten im Grunde verlassen wird, stellt sich die Frage, ob Identität in diesem Sinn für den Besitz normativer Eigenschaften wie der Eigenschaft, Person zu sein, hinreichend sein kann. Wie die meisten evaluativen Eigenschaften sind auch normative Eigenschaften wie der Besitz von Rechten superveniente Eigenschaften, d. h. sie variieren in Abhängigkeit von deskriptiven Eigenschaften. Auch wenn bei einem Lebewesen ein gewisser Kern an Eigenschaften konstant bleibt, etwa die genetische Information, durchläuft es in seiner Entwicklung von der Zygote bis zum endgültigen Vergehen eine Reihe unterschiedlicher Stadien, die ihrerseits mit wechselnden normativen Merkmalen zusammengehen: Die Buchecker verfüttern wir; den Buchenschößling reißen wir aus, wenn er Kultur- oder Zierpflanzen in die Quere kommt; die voll entwickelte Buche dürfen selbst ihre Eigentümer vielfach nicht ohne behördliche Erlaubnis fällen; das sich aus der vermodernden Buche entwickelnde Kohlendioxid ist wieder so vogelfrei wie anfangs die Buchecker. Ein und dasselbe Lebewesen durchläuft eine Reihe deskriptiv und normativ unterschiedlich charakterisierter Phasen. Entscheidend ist, daß sich die normativen Merkmale seiner reifen Phase nicht ohne weiteres auf alle anderen Phasen übertragen lassen. Daß die Vereinigung von Ei- und Samenzellen der Punkt ist, mit dem man das menschliche Leben am plausibelsten beginnen läßt, bedeutet nicht, daß man damit auch schon die Person an diesem Punkt beginnen lassen muß. Es kann es sogar nicht bedeuten, denn ansonsten wäre der Zehnjährige heute schon nicht nur der Zwanzig- und Dreißigjährige, der er einmal sein wird und mit denen er zweifellos identisch ist, sondern auch der spätere Leichnam, mit dem er (nach dem Kriterium der raum-zeitlichen Kontinuität) ebenso unzweifelhaft identisch ist.

4. Am deutlichsten tritt der bloße Immunisierungscharakter der äquivalenztheoretischen Argumentation beim vierten Argument zutage. Dieses Argument dient dazu, Personenstatus auch denjenigen menschlichen Wesen zuzuschreiben, die niemals die für das Personsein konstitutiven Fähigkeiten entwickeln, z. B. anenzephalen Neugeborenen (vgl. z. B. Rosada 1995, 230). Bei Lichte besehen löst dieses Argument jedoch nicht nur die Verbindung zwischen Personalität und personalen Fähigkeiten auf, sondern selbst noch die zwischen Personalität und der Fähigkeit zweiter Stufe, diese Fähigkeiten zu erwerben. Nach ihm sind selbst diejenigen menschlichen Wesen Personen, die nicht einmal die Anlage zu den geforderten Fähigkeiten besitzen. Dennoch bleibt ein Bezug auf Fähigkeiten erhalten. Die Zuschreibung des Personenstatus wird weiterhin in Fähigkeiten fundiert, wenn auch nur in den Fähigkeiten anderer, normaler Exemplare der biologischen Gattung.

Das mindeste, was gegen dieses Argument zu sagen ist, ist, daß der Bezug auf die biologische Gattung willkürlich scheint. Warum die biologische Gattung und nicht eine andere Bezugsmenge? Wenn alle Menschen ungeachtet ihrer individuellen Fähigkeiten an den normalen menschlichen Fähigkeiten in irgendeiner Weise "teilhaben" sollen, warum nicht auch alle Säugetiere? Warum soll gerade die biologische Taxonomie darüber entscheiden, wer an welchen Fähigkeiten welcher anderen Individuen "teilhat"? Nimmt man die Voraussetzung, daß es für den Personenstatus auf biologische Gesichtspunkte ankommt, ernst, dürften wir mindestens auch den Menschenaffen den Personenstatus nicht vorenthalten, denn diese unterscheiden sich biologisch-genetisch weniger vom Homo sapiens als von den Tieraffen. Müßten wir deshalb nicht eher sagen, daß die Menschenaffen "eigentlich" Personen sind und nur infolge eines biologischen "Defekts" die entsprechenden Fähigkeiten nicht realisieren?

Die Absurdität dieser Frage sollte ein Anlaß sein, die Blickrichtung zu wechseln und einen neuen Zugang zur Äquivalenzdoktrin zu suchen: Erliegen wir nicht vielleicht einem Mißverständnis, wenn wir alle diese "Argumente" an rigorosen Maßstäben formaler und inhaltlicher Stringenz messen? Handelt es sich nicht vielleicht eher um etwas gänzlich anderes, nämlich um eine Beschreibung dessen, wie wir tatsächlich mit menschlichen "Grenzfällen" umgehen, die die Bedingungen der Personalität nicht erfüllen, also eine – phänomenologische oder kulturbeschreibende – Rekonstruktion unserer tatsächlichen Umgangs- und Interpretationsweisen? Diese Deutung wird von Robert Spaemann nahegelegt, wenn er sein Plädoyer für die Äquivalenzdoktrin mit einem Hinweis auf die Intersubjektivitätsphilosophie von Emmanuel Lévinas beginnt und seine Argumentation nicht in der Behauptung kulminieren läßt, daß diese "Grenzfälle" Personen sind, sondern daß wir sie als Personen betrachten und behandeln.: "Personsein...ist...nur im Akt der anerkennung gegeben." (Spaemann 1996, 193) In der Tat betrachten wir ja vielfach auch diejenigen Menschen als Personen, die nach dem Fähigkeitsmaßstab noch nicht oder nicht mehr Personen sind, z. B. Demente oder kleine Kinder. Es ist ja durchaus so, daß wir – und insbesondere die Mutter – das Lächeln des Säuglings so deuten, als sei es das Lächeln jemandes, der um sein Lächeln weiß, auch wenn es sich tatsächlich um einen bloßen Reflex handelt. Spaemann: "Es gehört zur Wahrnehmungsweise kleiner Kinder, daß wir in kleinen Kindern die künftigen Ausdrucksmöglichkeiten sehen, ... derentwegen wir sie schon jetzt als Personen betrachten." (Spaemann 1993, 143) Aber auch für Demente und andere Menschen, die keine der für den Menschen als Gattung insgesamt charakteristischen Fähigkeiten wie Selbstbewußtsein, Rationalität oder Moralität aufweisen, gilt, daß wir sie – sei es aufgrund spontan-natürlicher Neigungen, sei es aufgrund tradierter kultureller Deutungsmuster – so betrachten und behandeln, als ob sie diese Fähigkeiten hätten, insbesondere dann, wenn sie diese Fähigkeit früher einmal besessen haben. Ließe sich auf diese Weise nicht bedeutend mehr von der Äquivalenzdoktrin "retten", als wenn man sie beim Wort nimmt und streng ontologisch deutet?

Ich glaube nicht, daß dieser "Rettungsversuch" gelingen kann. Erstens wird auf dem Hintergrund der rekonstruktivistischen Interpretation nicht verständlich, warum die Vertreter der Äquivalenzdoktrin die Personalität der kritischen marginal cases (vgl. Pluhar 1987) nicht unmittelbar ethisch, sondern ontologisch begründen. Die unmittelbar ethische Begründung ist ja bedeutend plausibler. Wie u. a. Feinberg argumentiert hat (vgl. Feinberg 1980, 165), gibt es gute pragmatische Gründe dafür, die Sichtweise von "Grenzfällen" als Quasi-Personen (oder "social persons" im Sinne von Engelhardt 1986, 116) nicht nur nicht in Frage zu stellen, sondern zu unterstützen und zu befördern, z. B. um Versuchungen zu einem inhumanen und unwürdigen Umgang mit ihnen zu begegnen. Bei Noch-nicht-Personen ist der zwingendste pragmatische Grund zweifellos der, daß eine "Vorgabe" an Personalität möglicherweise unabdingbar ist für die Entwicklung "personaler" Eigenschaften.

Zweitens würde eine rein rekonstruktive Argumentation aber auch inhaltlich nicht genügen, das Argumentationsziel der Deckungsgleichheit von "Mensch" und "Person" zu erreichen. Denn die "Du-Evidenz", die die Begegnung mit Dementen und Anenzephalen mit sich führt, gilt keineswegs für alle "Grenzfälle", z. B. nicht für menschliche Embryonen.

Drittens und vor allem würde aber auch ein rein phänomenologischer Zugang das Beweisziel verfehlen. Die Tatsache, daß wir menschliche "Grenzfälle" als Personen wahrnehmen, kann stets nur zeigen, daß wir ihnen bestimmte Rechte zuschreiben. Sie kann nicht zeigen, daß ihnen diese Rechte tatsächlich – d. h. in einem für jedermann einsichtigen Sinn – zukommen. Wir hätten kein Argument gegenüber demjenigen in der Hand, der diese Sichtweise nicht einnimmt und deshalb – so wie viele Vertreter der Nichtäquivalenz-Doktrin – die Zuschreibung von moralischen Rechten in diesen Fällen für begründungsbedürftig hält. Spaemanns Feststellung, daß "die Wahrnehmung von Personen...selbst die letzte Begründung für Pflichten" ist (Spaemann 1996, 195) ist keine Begründung für den, der diese – normativ gehaltvolle – Wahrnehmung nicht teilt. Und diese Schweirigkeit läßt sich auch nicht dadurch aus dem Weg räumen, daß man – mit Spaemann (1996, 195) – diese Anerkennung für der Person geschuldet erklärt. Denn das wäre eine offensichtliche petitio.

 

4. Das Dilemma der Nichtäquivalenz-Doktrin

Das Bestechende an der Nichtäquivalenz-Doktrin ist ihr Mut zur Konsequenz und ihr Verzicht auf begriffliche Schönfärberei: Wenn der Personenstatus auf Fähigkeiten beruht, dann kann er nur für diejenigen Wesen gelten, die die betreffenden Fähigkeiten tatsächlich besitzen. Wenn es nicht-personale menschliche Existenzweisen (im Sinne der Nichtäquivalenz-Doktrin) gibt, dann sind sie damit, daß man die begriffliche Lücke zwischen Mensch- und Personsein schließt, nicht aus der Welt. Das Problem, wie man mit ihnen umgehen sollte, bleibt. Dafür nimmt die Nichtäquivalenz-Doktrin in Kauf, daß die Extensionen von "Person" und "Mensch" in signifikantem Ausmaß nicht mehr zur Deckung zu bringen sind. Das genaue Ausmaß der "Deckungslücke" hängt dabei wesentlich von zwei Faktoren ab:

1. davon, welche Fähigkeiten für Personalität im einzelnen gefordert werden. Wer lediglich die Fähigkeit eines elementaren Zukunftsbewußtseins, aber weder die Fähigkeit zu Selbstbewußtsein oder moralische Zurechnungsfähigkeit fordert, wird zu einer eher großzügigen, wer im Sinne von Dennett (1981) oder Mitchell (1993) eine "reife" moralische Reflexionsfähigkeit fordert, zu ausgesprochen restriktiven Zuordnungen gelangen.

2. welche Anforderungen an den Begriff der Fähigkeit gestellt werden und inwieweit einem Menschen Fähigkeiten auch dann zugeschrieben werden können, wenn sie zeitweilig nicht aktualisierbar sind. Ein Schlafender behält alle Fähigkeiten, die er als Wachender hat. Ein Schlafender kann auch dann weiterhin Klavier spielen, wenn er wach sein muß, um diese Fähigkeit zu betätigen. Aber hat er diese Fähigkeit auch dann, wenn er keine Aussichten hat, jemals wieder aufzuwachen? Ich gehe im folgenden davon aus, daß die Nichtäquivalenz-Doktrin mit einem möglichst großherzigen Fähigkeitsbegriff operiert und einem Menschen eine Fähigkeit nur dann abspricht, wenn es sicher ist, daß er sie nicht mehr erlangen oder wiedererlangen wird. Dadurch wird die "Deckungslücke" kleiner, ohne ganz zu verschwinden. Irreversibel Bewußtseinslosen und Dementen sowie nicht zur Austragung bestimmten menschlichen Embryonen bleibt der Personenstatus weiterhin vorenthalten.

Das Dilemma des Personenbegriffs für die Nichtäquivalenz-Doktrin besteht darin, daß die Zuschreibung moralischer Rechte in ihrem Rahmen zwar mithilfe des Personenbegriffs formuliert werden kann, daß der Personenbegriff für die Begründung dieser Zuschreibung jedoch keine ausschlaggebende Rolle mehr übernimmt.

Erstens ist die Begründung von Rechten im Rahmen eines interessenorientierten Ansatzes, wie wir gesehen haben, nicht mehr direkt, sondern indirekt: Personale Fähigkeiten fundieren Rechte lediglich als Bedingungen bestimmter Interessen oder Bedürfnisse. Zweitens haben für die meisten Vertreter der Nichtäquivalenz-Doktrin auch Nicht-Personen moralische Rechte.

Was heißt es, ein moralisches Recht zu haben? Es heißt erstens, daß andere dem Inhaber des Rechts gegenüber bestimmte moralische Pflichten haben, d. h. zu einem bestimmten Verhalten ihm gegenüber verpflichtet sind. Es heißt zweitens, daß diese Pflichten eine gewisse Priorität genießen. Ein Recht darf im Konfliktfall nicht leichthin und niemals bloßen Interessen geopfert werden. Wenn es gegen andere Forderungen abgewogen werden muß, dann in der Regel nur wiederum gegen andere Rechte (fremde oder eigene) und nur in Ausnahmefällen gegen konkurrierende Pflichten. Drittens heißt es, daß der Inhaber des Rechts berechtigt und – falls er dazu nicht in der Lage ist – andere verpflichtet sind, dieses Recht geltend zu machen. Wer ein Recht hat, darf dieses Recht einklagen. Ist er selber dazu nicht in der Lage – wie bei Unmündigen, bei Tieren oder bei den Angehörigen zukünftiger Generationen –, fällt es anderen (Mündigen, Menschen, Gegenwärtigen) zu, diese Aufgabe zu übernehmen und sich zu Anwälten fremder Rechte zu machen.

Für viele Vertreter der Nichtäquivalenz-Doktrin (mich selbst eingeschlossen) folgt aus diesem Verständnis von moralischen Rechten, daß auch Nicht-Personen wie empfindungsfähige Tiere eine Reihe von moralischen Rechten haben, z. B. ein Recht auf Schutz vor Leiden (ob durch Schmerzen, Angst, Streß oder die Frustration starker Bedürfnisse) und artgemäße Lebensbedingungen. Empfindungsfähigkeit kann für den Besitz moralischer Anspruchsrechte hinreichend sein, während sie nach keiner Personenkonzeption – außer der exzentrischen Konzeption Leonard Nelsons, der Personen mit Interessensubjekten gleichsetzt (vgl. Nelson 1972, 132) – für den Personenstatus hinreichend ist. Anspruchsrechte können nach dieser Auffassung insbesondere auch menschlichen Noch-nicht-Personen zugeschrieben werden, sofern damit zu rechnen ist, daß sie zu einem späteren Zeitpunkt Empfindungsfähigkeit erlangen. So können einem menschlichen Embryo Anspruchsrechte – z. B. gegen seine Mutter – zugesprochen werden, insofern er sich normalerweise zu einem empfindungs- und denkfähigen Wesen entwickelt und dessen objektive Lebensumstände und subjektives Befinden u. a. auch davon abhängen, wie er während der Schwangerschaft behandelt worden ist. Diese Zuschreibung von moralischen Rechten macht ihn weder zur Person noch ist sie davon abhängig, daß er Personenstatus besitzt.

Nach dieser Auffassung haben nicht nur einige Nicht-Personen moralische Rechte, einige Nicht-Personen haben auch weitgehend dieselben Rechte wie Personen, insbesondere ein Recht auf Leben. Personalität ist aus dieser Sicht nicht nur keine notwendige Bedingung für die Zuschreibung von moralischen Rechten, sie ist auch keine notwendige Bedingung für die Zuschreibung genau derjenigen Rechte, die Personen zugeschrieben werden. Die Zuschreibung dieser Rechte kann auch in anderen Überlegungen als dem Besitz des Personenstatus fundiert sein.

Ein in letzter Zeit – besonders im Rahmen des Great Ape Project – vieldiskutiertes Beispiel sind die Menschenaffen. Die Spiegelexperimente von Gallup aus den 70er Jahren mit verschiedenen Affenarten (vgl. Griffin 1984, 74 ff.) legen es nahe, Schimpansen und anderen Menschenaffen – Im Gegensatz zu Tieraffen – die Fähigkeit zu Selbstbewußtsein zuzuschreiben. Dafür spricht auch, daß einige der Schimpansen, die mit Hilfe von Zeichensprache zu sprechen gelernt haben, bestimmte sprachliche Elemente verwenden, um sich selbst zu bezeichnen (Griffin 1984, 205). Hinzu kommt, daß zumindest Schimpansen über ein durchaus "menschliches" Zukunftsbewußtsein zu verfügen scheinen. An der Elfenbeinküste brechen sie "zeitweilig zu kilometerlangen Märschen in ein Weidegebiet auf, wo es eine bestimmte Art wohlschmeckender, aber mit sehr harter Schale versehener Nüsse gibt, hingegen keine Steine, mit deren Hilfe man sie öffnen könnte. Auf diesen Weg nehmen sich die Tiere tatsächlich "von daheim" geeignete Steine mit." (Bischof 1985, 541) Außerdem korrelieren diese Fertigkeiten mit einer beträchtlichen Verhaltensflexibilität und Lernfähigkeit. Zwar muß man es offenlassen, ob diese Beobachtungen beweisen, daß die Primaten – bzw. einige Meeressäuger, die ähnliche Fertigkeiten demonstrieren – über Selbstbewußtsein verfügen. Dennoch bietet das gegenwärtig verfügbare ethologische Material hinreichend Grund dafür, Menschenaffen, Walen und Delphinen ein dem Menschen vergleichbares Lebensrecht zuzuschreiben und nicht, wie heute bei Menschenaffen üblich, sie nach ihrer Nutzung als Versuchstiere aus Kostengründen und mangels geeigneter Zooplätze zu töten (vgl. Birnbacher 1996b).

Peter Singer und einige andere der am Great Ape Project beteiligte Philosophen (aber – in einem obiter dictum – auch Robert Spaemann, 1996, 264) neigen dazu, den höchstentwickelten Tieren und insbesondere den Menschenaffen nicht nur dieselben moralischen Rechte (soweit unter logischen Aspekten anwendbar) wie menschlichen Personen zuzuschreiben, sondern auch denselben Personenstatus. (Wenn einige, wie etwa Mitchell, diesen Schritt nicht mitvollziehen, dann vor allem, um Lebensrecht und ähnliche personale Rechte allen empfindungsfähigen Tieren zuzuschreiben.) Ich für meinen Teil halte diesen weiteren Schritt allerdings für semantisch allzu kontraintuitiv, um ihm folgen zu können, auch wenn ihm – als philosophischer Provokation – ein heilsamer antispeziesistischer Effekt möglicherweise nicht abzusprechen ist.

Aber auch vielen menschlichen Nicht-Personen wird der Vertreter der Nichtäquivalenz-Doktrin ein Lebensrecht nicht ernsthaft absprechen können. Viele Menschen, die die Bedingungen der Personalität einmal erfüllt haben, müssen allein schon deswegen im Nicht-mehr-Personen-Stadium als schutzwürdig gelten, weil die Aussicht, daß das eigene Leben nach Eintritt einer Demenz für andere verfügbar sein soll, für jeden unerträglich sein muß. Daß kleinen Kinder auch vor Erwerb des Personenstatus das Lebensrecht nicht abgesprochen werden darf, ergibt sich bereits aus Überlegungen der Aufrechterhaltung der allgemeinen Sicherheit auf umfassenden Lebensschutz (vgl. Birnbacher 1991, Hoerster 1995). Und auch die Tatsache, daß menschliche Embryonen nicht nur für die Nichtäquivalenz-Doktrin, sondern auch für den moralischen common sense nicht als Personen gelten, macht sie deshalb nicht völlig schutzlos (vgl. Birnbacher 1996a). Ist die enge Koppelung der Zuschreibung von moralischen Rechten mit der Zuschreibung von Personalität einmal gelöst, löst sich auch der Anschein der Homogenität der Gründe für die Zuschreibung von Rechten auf. Stattdessen lassen sich unterschiedliche Rechte unterschiedlich begründen – moralische Freiheitsrechte etwa durch die Bedingung der Handlungsfähigkeit, moralische Anspruchsrechte durch die Bedingung der (aktuellen oder späteren) Empfindungsfähigkeit: Freiheitsrechte machen nur Sinn bei einem Wesen, das handlungs- und entscheidungsfähig ist, Anspruchsrechte nur bei einem Wesen, das gegenwärtig oder zu einem späteren Zeitpunkt von der Gewährung oder Nichtgewährung dieser Rechte in irgendeiner Weise subjektiv betroffen sein kann.

Als Fazit ergibt sich, daß auch für die Nichtäquivalenz-Doktrin der Personenbegriff nur vermeintlich als Schlüsselbegriff fungiert. Für die Begründung moralischer Rechte übernimmt er nicht nur keine direkte, sondern letztlich überhaupt keine entscheidende Rolle. Die einem Wesen zugeschriebenen moralischen Rechte sind – zumindest für die typischen Vertreter dieser Position – keineswegs allein in den personalen Fähigkeiten der betreffenden Wesen fundiert, sondern zu einem Teil auch in den nicht-personalen Fähigkeiten dieser Wesen (etwa der Empfindungsfähigkeit) sowie in den personalen Fähigkeiten anderer, wie des Interesses der Allgemeinheit an der Aufrechterhaltung eines hohen Niveaus persönlicher Sicherheit.

Damit verstärkt sich der Eindruck, daß der "Streit um den Personenbegriff" ein Streit um des Kaisers Bart ist, der für die konkrete bioethische Problemlösung und -bewältigung wenig austrägt. Wie wenig der Personenbegriff für die Klärung und Lösung konkreter Probleme der Bioethik auszurichten vermag, sei exemplarisch an zwei aktuellen Beispielen gezeigt: der Frage nach dem Todeskriterium und der Frage, ob und wenn ja, wann die Behandlung von dauerhaft Bewußtlosen abgebrochen werden darf.

Es leuchtet ein, daß – entgegen einem von vielen Seiten erweckten Anschein – der Streit um den Personenbegriff mit der Frage nach dem Ende des menschlichen Lebens keinerlei Berührungspunkt hat. Einen Berührungspunkt gäbe es nur dann, wenn mit dem Ende des Lebens nach dem Ende der Person gefragt wäre. In diesem Fall müßte – auf dem Hintergrund des in der Bioethik vorherrschenden Personenbegriffs – die Antwort so lauten, daß das Leben nicht erst mit dem Ende des eigenständigen Funktionierens des menschlichen Organismus, ja nicht einmal mit dem irreversiblen Verlust der Fähigkeit zu bewußtem Erleben, sondern bereits mit dem Ende der Fähigkeit zu Intentionalität, Denkfähigkeit, Selbstbewußtsein usw. aufhört. Die paradoxe Konsequenz wäre, daß ein Mensch bereits dann als tot gelten müßte, wenn er zwar nicht mehr zu "personalen" Leistungen, aber durchaus noch zu Empfindungen, elementaren Gefühlsregungen und -zuständen sowie zu elementaren, auf das Hier und Jetzt bezogenen Strebungen imstande wäre. So weit geht selbst das Teilhirntodkriterium nicht, das den Tod mit dem irreversiblen Ausfall der für die Bewußtseinsfähigkeit notwendigen Großhirnfunktionen zusammenfallen läßt. Noch weniger läßt sich das Hirntodkriterium mit dem alleinigen Ausfall der für die Personalität des Menschen notwendigen Hirnfunktionen begründen.

Auch bei der Frage nach der Zulässigkeit eines Behandlungsabbruchs bei irreversibel Bewußtlosen ist die Frage nach dem Personenstatus letztlich irrelevant. Wenn ein Behandlungsabbruch in diesen Fällen moralisch erlaubt ist, dann nicht deshalb, weil der Patient keine "Person" mehr ist, sondern deshalb, weil eine Weiterbehandlung sinnlos ist, d. h. weder das subjektive Befinden des Patienten verbessern noch sein Leben bei hinreichender Lebensqualität verlängern kann. Die Frage des Personenstatus spielt für die Rechtfertigbarkeit des Behandlungsabbruchs gar keine Rolle. Wäre der Patient noch bei Bewußtsein oder bestünde eine Chance, daß er das Bewußtsein wiedererlangt, wäre ein Behandlungsabbruch – jedenfalls solange keine weiteren berechtigenden Gründe vorliegen – klarerweise unzulässig.

 

5. Folgerungen

Auf dem Hintergrund der beschriebenen Dilemmata spricht viel dafür, bioethische Diskussionen ohne den Rückgriff auf den Personenbegriff zu führen oder ihm zumindest eine weniger zentrale Funktion zuzuweisen, als ihm gegenwärtig zugewiesen wird. Ein Verzicht auf den Personenbegriff als bioethische Kategorie hätte aus meiner Sicht vor allem die folgenden Vorteile:

1. Man würde die Konfusionen vermeiden, die der Personenbegriff heraufbeschwört. Wie alle kryptonormativen Begriffe lädt der Personenbegriff dazu ein, als deskriptiver Begriff mißverstanden zu werden, so daß die Erfüllung der deskriptiven Bedingungen fälschlicherweise für hinreichend gehalten wird, die jeweiligen normativen Postulate zu begründen.

2. Der Rückgriff auf den Personenbegriff spiegelt eine nicht bestehende semantische Bestimmtheit vor. Tatsächlich ist der Personenbegriff hochgradig interpretationsfähig und -bedürftig. Die auf der Seite der Äquivalenztheoretiker oft zu hörende lapidare Aussage "Der Mensch ist Person" vermittelt einen falschen Eindruck von begrifflicher Sicherheit.

3. Ein Verzicht auf den Personenbegriff bietet Chancen für eine feinkörnigere Analyse und Begründung moralischer Rechte. Eine Person zu sein, ist eine Alles-oder-Nichts-Angelegenheit, während man bestimmte moralische Rechte haben kann, ohne jedes mögliche moralische Recht zu haben. Ohne den Umweg über den Personenbegriff lassen sich Rechte sehr viel differenzierter zuweisen: Man braucht Wesen, die Personen sind, nicht alle möglichen Rechte zuzusprechen, und man braucht Wesen, die keine Personen sind, nicht bestimmte oder alle moralischen Rechte abzusprechen. Auch eine Gradualisierung des Personenbegriffs, wie sie kürzlich von Ludwig Siep (1993, 44) und Rüdiger Vaas (1996, 1513) vorgeschlagen worden ist, scheint mir zur "Rettung" des Personenbegriffs als Kategorie der Bioethik wenig geeignet. Sieps Vorschlag erlaubt eine Abstufung der moralischen Rechte eines Wesens danach, welche Anteile von Personalität es jeweils besitzt: Je nach dem Grad an Personalität haben einige Wesen mehr Rechte als andere, und haben Menschen verschieden weitgehende Rechte in verschiedenen Lebensphasen. Selbstverständlich müßte geklärt werden, wo genau die Skala beginnt (auf welcher ontogenetischen oder phylogenetischen Entwicklungsstufe das Maß der Personalität zum ersten Mal größer als Null ist) und wo sie das Maximum des vollen Personenstatus erreicht. Dies könnte im einzelnen nicht weniger kontrovers sein als die Zuschreibung des unabgestuften Personenbegriffs. Ein gewichtigerer Grund gegen diesen Vorschlag ist für mich allerdings, daß sich ein abgestufter Begriff sehr weit vom alltagssprachlichen Begriff der Person entfernt, der kein Mehr oder Weniger zuläßt, sondern eine Ja-Nein-Entscheidung verlangt. Man kann nicht in höherem Maße Person sein als jemand anders, sondern man ist es oder man ist es nicht.

 


Literatur

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