Gerhard Streminger

Von Saulus bis Paulus

Replik auf die eingehende kontroverse Diskussion des in EuS 8 (1997) H. 3 erschienenen Hauptaufsatzes des Autors, „Eine Kritik der christlichen Ethik“, in: Ethik und Sozialwissenschaften 8 (1997) 3, Seite 389-401

 

Hinweis: Die o. g. Diskussion kann hier aus rechtlichen Gründen nicht wiedergegeben werden. Wesentliche ihrer Punkte sind der hier publizierten Replik indirekt zu entnehmen.

 

Zunächst möchte ich mich bei allen, die sich die Mühe gemacht haben, meinen Artikel zu lesen und zu kommentieren, herzlich bedanken. Leider kann ich aus Platzgründen praktisch nur auf Einwände eingehen, die sich unmittelbar auf meine Ausführungen beziehen. Einige Kritikpunkte wurden zudem in mehreren Diskussionsbeiträgen geäußert; sie konnten nur an jeweils einer Stelle etwas ausführlicher diskutiert werden.

((1)) Klaus Berger findet großes Mißfallen an meiner Arbeit. Sie sei "ein durchgehendes Beispiel für das Miß- oder Nichtverstehen, das zwangsläufig ist, wenn man die Bibel an der Moral des 19. Jahrhunderts mißt." ((13)) Gerne setzte man sich sogleich mit diesem Mißverstehen und der Ursache desselben - Warum gerade >Moral des 19. Jahrhunderts<? – auseinander, doch der Artikel ist in einem so herablassenden Ton verfaßt, daß man innehält und sich unwillkürlich fragt, wie eine solche Aggressivität mit christlicher Nächstenliebe vereinbar ist – "Weg des Friedens und der Liebe" ((6)) nennt Berger die Jesuanische Botschaft gar.

((2)) Doch wird man, wie so oft in diesem Beitrag, eines Besseren belehrt: Nach Berger "haben >Liebe< oder >Haß< für die Bibel nichts mit Gefühlen ... zu tun ..." Die Basis des Christentums "ist auch nicht das >Mitgefühl< ..., sondern Klugheit, ..." ((3)) Dieser Hinweis könnte den herablassenden Ton – Er hat nichts mit Gefühlen zu tun! – mit christlicher Nächstenliebe vereinbaren, allein: Liebe ohne Gefühl? Haß ohne Gefühl? Andere lieben wie sich selbst ohne Gefühl? Klugheit wichtiger als christliches Mitgefühl? Obwohl es wahrlich vermessen ist, das Wort Gottes gegen einen so ausgewiesenen Kenner der damaligen Zeit und des 19. Jahrhunderts zu verteidigen, würde ich doch meinen, daß die These von der Gefühllosigkeit von Liebe und Haß nicht biblischen, sondern bergischen Ursprungs ist.

((3)) Der Eindruck, daß hier ein Gefühlshaushalt ein wenig in Unordnung geraten ist, zeigt sich u.a. in jener Passage, in der Berger doziert, daß Gottesliebe und Gottesfurcht sehr wohl miteinander verträglich sind: "Und so ist hier die Logik: Wenn Gott das Gegenüber ist, dann gilt es zunächst und immer, den Abstand wahrzunehmen, das nennt man fürchten, ..." ((4)) Den Abstand wahrnehmen nennt man fürchten? Wenn ich den Abstand zu meinen Nachbarn wahrnehme, so fürchte ich mich doch nicht vor ihnen; >Furcht< schließt stets ein Gefühl der Bedrohung mit ein.

((4)) Oder: "Die Hinweise Jesu auf die Gefährdung des Menschen wertet Streminger als >Drohungen gegenüber Andersdenkenden< ... Tatsächlich, so kann man es sehen, wenn man Toleranz zum einzigen Maßstab macht." ((9)) Aber Toleranz sei eben nicht der einzige Maßstab zum Verständnis Jesu: "Ein Arzt sagt zu mir: >Wenn Sie weiter so rauchen, erleben Sie das nächste Jahrhundert nicht<. Ich finde das unfreundlich, intolerant und unmenschlich." ((9)) Ich finde die Aussage des Arztes weder unfreundlich noch unmenschlich, und schon gar nicht intolerant, solange er nicht versucht, mir seinen Willen aufzuzwingen.

((5)) Oder: Ich stelle in meinem Artikel die Frage, ob Jesus ein Sozialreformer war oder nicht. Nein, war meine Antwort. Dem stimmt Berger zwar zu, daß aber das "Christentum (hier: die kath. Kirche) ... in demselben 19. Jahrh. eine Soziallehre geschaffen hat, die auch heute noch nicht eingeholt und eingelöst ist, das ist offenbar nach Graz noch nicht gedrungen." ((13)) Hier kann ich Berger endlich beruhigen: Die Kunde von einer katholischen Soziallehre ist bis ins provinzielle Graz gedrungen und übt auch hier einen positiven Einfluß aus. Nur wurde nicht danach, sondern nach der fast 2000 Jahre zurückliegenden Soziallehre Jesu gefragt.

((6)) Oder: Hinsichtlich der Jesuanischen Höllendrohungen verweist Berger auf die Ergebnisse von "Fach-Exegeten", an die man sich halten und nicht "einen Erstkommunion-Unterricht von vor sechzig Jahren beschwören" sollte [Beschwören? Auch anderswo wird von >Heulen< oder >Zähneknirschen< oder >ewigen Feueröfen< erzählt ...!]. "Dabei geht es den Fachleuten absolut nicht darum, die Höllen-Aussagen zu ermäßigen [der Ausdruck >ermäßigen< ist leider bisher noch nicht bis nach Graz gedrungen, aber woher weiß Berger, daß es Fachleuten absolut nicht um die >Ermäßigung< von Höllendrohungen geht?]. Ganz im Gegenteil, Jesus gebraucht Bilder für das Verlorensein, die harmlos sind im Vergleich zu dem, was so rundum im 20. Jahrhundert an Hölle angerichtet wurde." ((6)) Höllenaussagen als harmlose Bilder des Verlorenseins? Berger weiter: "Ein >bißchen Hölle< gibt es leider nicht. Daher ist die Rede von der Ewigkeit der Hölle nicht die Ausgeburt der Phantasie eines grausamen Gottes, ..." ((6)) Nun war ich immer der Meinung, daß diese sonderbare Konzeption des katholischen Fegefeuers wenigstens den Vorteil hat, daß menschliches Leid zeitlich begrenzt ist. Aber, so klärt Berger (390) mich und alle Katholiken auf: Ein >bißchen Hölle< gibt es nicht, wenn schon, dann ewig.

((7)) Oder: "An dieser Stelle nagelt Streminger dann den christlichen Glauben und den Gott der Bibel auf eine Art von Allmacht fest, die er jedenfalls aus der Bibel nicht bezogen haben kann. Wo steht denn, daß Gott jedermann gegen dessen Willen selig werden lassen könnte oder gar müßte?" ((7)) Hier hat Berger recht: Zwar nagle ich niemanden fest, aber in der Bibel steht nirgendwo, daß Gott allmächtig ist. Allerdings wird er als >Schöpfer Himmels und der Erde< beschrieben, also als der Schöpfer von – wie wir heute wissen – Milliarden von Sonnensystemen; zudem wird er an vielen Stellen als >gerecht< bezeichnet. Vor diesem Hintergrund taucht die Frage auf, wie sich diese Aussagen mit den Leiden der Welt vertragen. Berger scheint dieses Problem nicht wirklich zu berühren, da er als Ursache allen Leids die menschliche Freiheit sieht. Unterrichtete ich in Heidelberg, vielleicht sogar im wissenschaftlich-theologischen Seminar der Universität, so würde ich mich darüber erstaunt zeigen und mich darüber lustig machen, daß der Herr Kollege Berger die gesamte Literatur seit Augustinus, vielleicht seit Paulus, die die menschliche Freiheit zum Problem macht, ignoriert; als kleiner Professor, noch dazu als Philosoph, der "offensichtlich nicht historisch denken kann" ((10)), bleibt mir leider nur dieser postmoderne Hinweis.

((8)) Oder (ohne weiteren Kommentar): "Und es ist fragwürdig, über den Inhalt von Liebe zu grübeln, wenn man außer acht läßt, woher der Mensch dazu überhaupt in der Lage sein soll. Kein kategorischer Imperativ kann meinen Egoismus brechen." ((12))

((9)) Lassen wir es dabei bewenden und kehren wir zur Ausgangsfrage (19. Jahrhundert!?) zurück: Legt man einen modernen, aufgeklärten Maßstab an den besagten Text, so erscheint dieser als ziemlich barbarisch. Dieser Meinung scheint auch Berger zu sein: >ein durchgehendes Nichtverstehen, das zwangsläufig ist, wenn man die Bibel an der Moral des 19. Jahrhunderts mißt.< Daß es dennoch Menschen gibt, die das Buch vor einem solchen Zugang, vor derartigen >Niederungen< bewahren wollen, sei ihnen unbenommen; nur sollten sie aufhören, so zu tun, als enthielte es, von einigen Sentenzen abgesehen, eine auch für unsere Zeit vorbildliche Morallehre.

((10)) Mit der Darstellung von Franz Buggle stimme ich so weitgehend überein, daß sich ein Kommentar praktisch erübrigt. Auch Buggle kommt zum Ergebnis, daß "die Urquelle christlicher Ethik" ((6)), nämlich die Bibel, "ohne massive Verdrängungs- und/oder die bekannten theologischen Um- und Weginterpretationsstrategien kaum noch als Quelle einer heute zu fordernden Ethik mit einem Mindeststandard an Humanität akzeptierbar erscheint." ((4)) Stärker, als ich dies tue, betont Buggle aber den Unterschied zwischen Jesuanischer und christlicher Ethik. Zwar zeige sich in beiden Fällen ein ähnliches Bild, jedoch bedürfe eine Kritik christlicher Ethik zusätzlicher Argumente, etwa hinsichtlich des Naturbegriffs in den Naturrechtslehren. Folglich "ergibt sich in Ergänzung ... ein erweitertes Feld kritischer Einwände." ((4))

((11)) Nach Hans Deidenbach ist meine Darstellung der christlichen Ethik zu pauschal. Konkret sind es folgende Punkte, die er kritisiert:

((12)) a. Meine Auffassung von Theodizee, denn diese schreibe Gott anthropomorphe Eigenschaften zu. Aber, so mein Gegeneinwand, wenn Gott nicht im menschlichen Sinn gut ist, weshalb wird er dann >gut< genannt? Wir kennen nur unsere Form von Güte, und hinsichtlich des künftigen Gerichts wissen Theologen und Gläubige sehr wohl, was unter >gut< und >gerecht< zu verstehen ist. Aber, so Deidenbach weiter, es sei Aufgabe des Menschen, die Übel der Welt zu bekämpfen. Für ein solches Unterfangen – denkt man etwa an Erdbeben – sind wir jedoch wohl nur unzulässig ausgestattet; und dieser Mangel fällt auf denjenigen zurück, der uns angeblich erschaffen hat. Das Theodizeeproblem taucht also erneut auf.

((13)) b. Der von mir als ungerecht empfundene Halbsatz >... damit sie sich etwa nicht bekehren und ihnen vergeben werde< wird von Deidenbach durch den Hinweis zu entkräften gesucht, daß es die Unterscheidung zwischen einem inneren und einem äußeren Kreis "nicht nur im Christentum" ((3)) gäbe. Das mag stimmen, aber der von mir als ungerecht empfundene Zweck (damit ...) bleibt als solcher bestehen.

((14)) c. Deidenbach deutet das Reden von Hölle, ewiger Strafe und Feueröfen so: "Im Hinnomtal befand sich nicht nur der Müllplatz Jerusalems, ..., dort wurden auch hingerichtete Verbrecher verbrannt." ((3)) Aber damit ist das Problem, das ich aufgeworfen habe, nicht gelöst, denn nun ist es eben ein Müllplatz, auf den der biblische Jesus alle Unrecht Tuenden verdammt. Außerdem: Wo ist nach Deidenbachscher Lesart eigentlich das Paradies anzusiedeln?

((15)) d. Die Erzählung von der Ursünde wird als Mythos interpretiert: "Ist es wirklich heute noch nötig, zu erklären, daß es sich bei der Versuchungserzählung ... um eine mythologische Erzählung handelt ...?" ((5)) Leider ist immer noch eine Erklärung vonnöten, wie vor diesem Hintergrund zu verstehen ist, daß Jesus als >zweiter Adam< gefeiert wird, der >hinwegnimmt die Sünden, die durch unsere große, übergroße Schuld in die Welt gekommen sind<. Ist auch alles das mythologisch zu verstehen? Wenn ja, weshalb wird so viel Aufhebens darüber gemacht; wenn nein, wie verträgt sich dies mit dem Mythos der Ursünde?

((16)) e. Deidenbach schwankt zwischen einer realistischen und einer idealistischen Lesart der Bibel. Einmal geht es um reale Orte außerhalb des menschlichen Bewußtseins, dann wieder um Phänomene innerhalb desselben. So wird etwa der Heilige Geist nicht als reale Entität verstanden, sondern: "Es ist eine psychotherapeutische Binsenweisheit: Wer an krankmachenden ... Denk – (Bewußtseins -/ >Geist -<)Konzepten haften bleibt, kann nicht gesunden." ((6)) Diese Weisheit mag >binsig< sein, aber was hat eine Aussage wie diese noch mit der Bibel zu tun?

((17)) f. Dieser Eindruck, daß Deidenbach interessante, aber weit vom ursprünglichen Text entfernte Interpretationen anbietet, verstärkt sich noch gegen Ende des Beitrages:

– So wird das Verbot, eine Frau >begehrlich anzublicken<, folgendermaßen gedeutet: Matthäus "will mit diesem Beispiel sagen: Werde dir deines Wahrnehmens ..., deiner kognitiven (391) und emotionalen ... Konzepte bewußt; sie sind >ein Fundament der Sittlichkeit< ...; dann bist du der >bösen Tat< ... weniger ausgeliefert."((8.1))

– Das berühmte Gebot der Feindesliebe heißt in Wahrheit: ">Nimm einmal Gefühle und Empfindungen deines Gegners wahr; versetze dich in seine Gedanken- und Gefühlswelt<; dann kannst du >dich mit ihm ... ‘versöhnen’ ...<" ((8.2))

– Grundbegriffe der Bibel werden als Bewußtseinsphänomene gedeutet: "Wer die Augen nicht vor der Wirklichkeit verschließt, kann in sich, in seinem eigenen Denken, Fühlen und Verhalten >Licht< und >Schatten<, >Engel< und >Teufel/Dämonen<, >Himmel< und >Hölle< ... feststellen." ((9)) Erneut stellt sich die Frage, was solche Aussagen mit der Bibel zu tun haben, wo den meisten Dingen ein Ort außerhalb des menschlichen Bewußtseins zukommt; und dort, wo Deidenbach von der >Hölle im Hinnomtal< spricht, hat er ja auch einen solchen angenommen.

((18)) Der Diskussionsbeitrag von Rainer Dillmann enthält einige bemerkenswerte Aussagen, die es verdienen, nochmals zitiert zu werden. So schreibt er an einer Stelle: Die liberale Theologie des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die Jesus aus dem Judentum löste, "hat den im westlichen Christentum latent vorhandenen Antisemitismus [woher dieser?] beflügelt und dürfte eine der Ursachen des Holocaust in unserem Jahrhundert gewesen sein." ((8)) Ob der liberalen Theologie der braune Peter zu Recht zugeschoben wird und/oder ob nicht autoritätshörigeren Formen der Theologie dieses zweifelhafte Verdienst zukommt, sei dahingestellt; bemerkenswert ist diese Aussage eines Theologieprofessors über den Zusammenhang von Christentum und Holocaust allemal.

((19)) Während Dillmann sich hier mit Religionskritikern trifft, hält er meinen Beitrag doch für zu >monologisch<; erwünscht sei – so auch im Titel angedeutet – ein >dialogischerer Umgang mit den Texten<. Worin eben dieser bestehen soll, ist mir leider unklar geblieben: Dillmann verweist zunächst auf die Tatsache, daß "jede sprachliche Äußerung implizit Präsuppositionen macht, die nicht näher hinterfragt oder erläutert werden. Soll jedoch Kommunikation gelingen, so müssen diese Präsuppositionen von allen geteilt werden." Interpretationen würden zum Dialog genau dann, wenn "das eigene Vorverständnis ... bewußt bleibt." ((5)) Hier stockt der Philosoph zum ersten Mal: Geht es nun um ein Teilen der Präsuppositionen oder (lediglich) um ein Bewußtbleiben derselben? Im ersten Fall taucht die Frage auf, wie dann ein Dialog unter Andersdenkenden möglich sein könnte. Und im zweiten Fall stellt sich die Frage, was mit dem bewußt gebliebenen Vorverständnis getan werden soll; denn Bewußtsein als solches schafft noch keine Empathie. Auf dieses Dilemma geht Dillmann nicht näher ein, wirft mir jedoch eben diese Unterlassung vor. Sie zeige sich insbesondere in meiner Auffassung, daß jede christliche Ethik u.a. auf der metaphysischen Annahme beruhe, daß es einen Gott gibt und daß diese Annahme nicht begründet ist, weshalb christliche Ethiken auf tönernen Füßen ruhten. "Hier wird suggeriert, als wäre voraussetzungsloses Denken möglich, und die heute im Westen gültige Rationalitätsform sei die einzig mögliche und richtige. Der eigene Standpunkt scheint zum allein gültigen Maßstab aller Kritik zu werden. Ein echter Dialog kommt jedoch nur zustande, wenn die Andersartigkeit des Dialogpartners ernst genommen wird." ((6))

((20)) Nun meine ich, daß ich mit dem Hinweis auf die Unbegründetheit der christlichen Ethik die >Andersartigkeit des Dialogpartners< sehr ernst genommen habe. Nicht bewußt war mir allerdings die Annahme, ich hätte mit obigem Hinweis ein >voraussetzungsloses Denken suggeriert< und >die heute im Westen gültige Rationalitätsform als die einzig mögliche und richtige< hingestellt. Der Hinweis auf die Voraussetzung eines bestimmten Denkinhaltes, eben der auf die Voraussetzung der christlichen Ethik, impliziert jedoch keinen Hinweis auf ein mögliches voraussetzungsloses Denken. Oder meint Dillmann, daß ich ein Denken ohne Gott suggeriert habe? Das wäre zwar richtig, aber kein Plädoyer für ein voraussetzungsloses Denken schlechthin. Oder ist nur ein Denken mit Gott möglich? Dillmanns Aussagen bleiben unklar, außerdem möge er eine >Rationalitätsform< nennen, in der die Existenz Gottes begründet ist. Auf die klassischen Gottesbeweise kann Dillmann sich jedenfalls nicht berufen, denn in ihnen wird die traditionelle Rationalitätsform als die >einzig mögliche und richtige< angenommen.

((21)) Bleibt mir also unklar, worin ein >dialogischer< Umgang mit den heiligen Texten bestehen soll, so teile ich mit Einschränkungen den Unterschied von Jesuanischer und christlicher Ethik. Diese müsse sich zwar auf jene stützen, habe jedoch die Aufgabe, "die sittliche Botschaft Jesu für die jeweilige Zeit je neu" zu bestimmen ((2)). Auf die christliche Ethik bin ich allerdings kaum näher eingegangen, zudem kann sie sich nur bedingt von der Jesuanischen lösen, will sie den Namen >christlich< zu Recht verdienen. Und: Die Neubestimmung der >sittlichen Botschaft Jesu für die jeweilige Zeit< kann wohl nicht bedeuten, daß es gut war, als versucht wurde, die Botschaft Jesu für den Nationalsozialismus neu zu formulieren. In diesem Punkt bin ich mit Dillmann gewiß einer Meinung, allerdings müßten Grenzen einer Neubestimmung angegeben werden.

((22)) Trotz mancher Zustimmung nennt Uwe Gerber meine Arbeit "zu unkritisch in einem zu wenig differenzierenden Pamphletstil, der nicht wirklich Diskurse zu eröffnen vermag" ((1)). Das klingt interessant, liest man allerdings wenig später Sätze wie diesen: "Aber Gott wird von uns nicht in nur heilsamer Reinform erfahren, denn dann wären wir selbst ein solcher Gott" ((6)), so stellt sich mit Nachdruck die Frage, um welche Kritik und Differenzierung, um welchen Diskurs es hier gehen soll. An anderer Stelle heißt es, daß ich einer "naiv-positivistischen Hermeneutik" folge, wenn ich Jesus zum "Gottes-Sohn und Erlöser aller Menschen umstilisieren möchte"; die Korrektur dieses Fehlers sei aber "exegetisches Proseminar-Programm" ((2)), mit dem Gerber sich offenkundig nicht ernsthaft beschäftigen will. Ist aber die Gottessohnschaft Jesu eine bloße Umstilisierung, die in einer Proseminar-Veranstaltung zu korrigieren wäre, dann stellt sich die Frage, warum dies in theologischen Seminaren nicht geschieht und immer noch das Gegenteil gelehrt wird. Offenbar gibt es immer noch viele >naiv-positivistische Hermeneutiker<.

((23)) Von diesem Vorwurf einmal abgesehen, variiert Gerber mehrmals das Argument, ich hätte Jesus zu wenig in den jüdischen Kontext gestellt. Nun war es eines meiner Anliegen aufzuzeigen – und durch eine eigene Überschrift wurde dies noch zusätzlich gekennzeichnet –, daß es mit der Originalität (392) Jesu nicht allzu gut bestellt ist, daß er also in einer bestimmten Tradition stand. Gerber meint, über meine Hinweise hinausgehend, daß aufgrund dieser Tradition Jesus seinen Gott immer auch als >eifersüchtig< verstanden hat. Das klingt plausibel, allerdings gibt es das Jesus-Wort, daß nur einer gut sei, nämlich Gott im Himmel. Zudem stellt sich folgendes Problem: Wenn Gott als ambivalent zu denken ist, wer oder was garantiert dann die >ausgleichende Gerechtigkeit im Jenseits<?

((24)) Gerber kommt auf diese Probleme nicht zu sprechen, er meint vielmehr, daß ich "Motivation pur und Begründungsmuster pur" ((8)) fordere. Dem ist nicht so: Worum es mir geht, ist eine menschliche Motivation und eine Begründung, die Gottes Existenz zumindest wahrscheinlich und die Vorstellung von Gott als den archimedischen Punkt der Moral zumindest plausibel macht. Möglichkeit allein genügt nicht; es ist durchaus möglich, daß es keinen Gott gibt, aber auch: daß es viele Götter gibt, die sich um die Moral des Menschen nicht kümmern etc. Alles dies ist möglich. Um aus diesem Möglichkeitsraum auswählen zu können, bedarf es jedoch gewisser Kriterien, Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe, die das eine Ereignis als plausibel und das andere als unplausibel auszeichnen.

((25)) Entscheidend sei jedoch dies: Jesus habe "nicht ein für alle Mal festgelegt, was moralisch oder unmoralisch sei ..., was chaotisch oder was ordentlich sei ..., was gerecht und was ungerecht sei." ((10)) Gegen diese Auffassung spricht, daß Jesus im Grundsätzlichen sehr wohl gesagt hat, was moralisch ist und was nicht: >Moralisch ist, wenn man Gott über alles und den Nächsten wie sich selbst liebt.<

((26)) Zuletzt noch ein Wort zum Ausdruck >Pamphletstil<: Ein Pamphlet ist eine Ansammlung von Polemiken, und eine solche liegt dann vor, wenn griffige, oft verletzende Formeln das Argument ersetzen. Meines Erachtens ist dies in meinem Artikel keineswegs der Fall, mir ist allerdings zugänglich, wenn manche sich an diversen Formulierungen stoßen. Ihnen sei die Lektüre von Das Christentum im Urteil seiner Gegner (Hrsg.: K. Deschner) empfohlen. Dort werden sie – als Erstorientierung – erfahren, was u.a. Voltaire, Diderot, Helvetius, Holbach, Goethe, Schopenhauer, Heine, Feuerbach, Darwin, Hebbel, Marx, Nietzsche, Freud, Russell oder Camus vom Christentum hielten. Vor diesem Hintergrund sind meine Formulierungen harmlos.

((27)) Roman Heiligenthal moniert zunächst, daß ich Jesus zu sehr in die Nähe der Essener rücke und damit seine Originalität ungerechtfertigterweise abwerte: "In den Qumranschriften finden sich weder Gleichnisse noch Wunderberichte; noch die für Jesus so zentrale Botschaft vom >Gottesreich< ... Der christliche Glaube an einen leidenden Messias ist den Essenern nicht bekannt." ((1)) Dies sind wichtige Hinweise, die der Korrektur meiner Ausführungen dienen, aber die Originalität Jesu vermögen sie nicht zu beweisen, spielen doch Gleichnisse, Wunderberichte und wohl auch die Idee vom >Gottesreich< in der damaligen rabbinischen Literatur eine zentrale Rolle; und auch die Vorstellung vom Sündenbock, vom >leidenden Gottesknecht< dürfte weit verbreitet gewesen sein.

((28)) Des weiteren moniert Heiligenthal, daß ich "vom Wesen metaphorischer Texte nichts weiß und sie deshalb auch nicht auszulegen versteh[e]... Die Frage nach sozialer Gerechtigkeit entstammt dem 19. Jahrhundert und wird in souveräner Manier als Interpretationsschlüssel für die Bilderwelt eines spätantiken Textes verwendet. Weder Plato noch Jesus kannten die Probleme moderner Industriegesellschaften." ((2)) Einmal abgesehen von der Frage, wer oder was die Auslegung >metaphorischer Texte< bestimmt, so ist gewiß, daß weder Plato noch Jesus die Probleme des Industrieproletariats kannten. Aber daraus folgt nicht, daß die Frage nach sozialer Gerechtigkeit ein Produkt des 19. Jahrhunderts ist. Denn auch damals gab es Entrechtete, Sklaven und Frauen beispielsweise, deren trauriges Los – etwa von Stoikern – sehr wohl reflektiert wurde. Und was den Zugang zu den biblischen Texten angeht: Natürlich kann durch einen >ungezwungenen< Zugang manches Detail ungerecht behandelt sein, insgesamt könnte eine solche Vorgehensweise der Sache aber viel gerechter werden als ständige Vorsicht und Rücksichtnahmen. Jedenfalls habe ich nicht den Eindruck, daß die moderne Theologie knapp vor einem neuen Gesamtentwurf stünde. Dies mag damit zusammenhängen, daß es augenblicklich keine großen Theologen gibt (es scheint auch keine großen Philosophen zu geben); dies könnte aber auch damit zusammenhängen, daß sich der Gegenstand gegen eine Interpretation, in der Wohlwollen und Humanität im Zentrum stehen, einfach sperrt.

((29)) Aber Heiligenthal beläßt es nicht bei einer Kritik der Kritik, sondern geht zu einer Kritik des Kritikers über: "Hintergrund der Ausführungen Stremingers ist ... eine naive Sehnsucht nach der heilen Welt, die er im (katholischen) Christentum zu finden glaubte, aber nicht fand." ((3)) >Naiv< sei diese Sehnsucht deshalb, weil die verschiedenen nicht-religiösen Sozialentwürfe "keine Verbesserung brachten" ((3)). Aufgabe von Religion "angesichts der Komplexität von Wirklichkeitserfahrungen ist jedoch gerade nicht die Bewältigung von Kontingenzerfahrungen, sondern dem Menschen zu helfen, diese auszuhalten. So ist in der Tat Jesus kein Sozialreformer ..." ((3)) Dazu sind mehrere Dinge zu bemerken: Vielleicht ist es ein bißchen naiv zu glauben, daß ich unter einer Sehnsucht nach einer heilen Welt leide, die ich im Katholizismus zu finden glaubte, aber nicht fand. Jedenfalls halte ich es für unrichtig, daß nicht-religiöse Sozialentwürfe keine Verbesserung brachten und glaube auch nicht, daß Heiligenthal während der christlichen Religionskriege des 17. Jahrhunderts (oder als Christ im heutigen Algerien) leben möchte. In einer immer komplexer werdenden Welt sehe ich in neuzeitlichen Entwürfen (Demokratie, Menschenrechte, Gewaltenteilung etc.) die einzige Chance, ein relativ friedliches Zusammenleben zu ermöglichen. Und wenn man bedenkt, welche Rolle die Religion in Nordirland, dem ehemaligen Jugoslawien oder dem Libanon spielt oder spielte – um nur Konflikte in unmittelbarer Nähe zu erwähnen -, wird man auf nicht-religiöse, liberale Sozialentwürfe wohl eher bauen können. Die Religion könnte eine positive Rolle spielen, aber sie darauf zu beschränken, daß sie den Menschen helfen soll, die Komplexität der Welt auszuhalten, hieße, sie auf eine Opiumfunktion zu reduzieren.

((30)) Abschließend meint Heiligenthal über meinen Artikel, daß "gegenüber der philosophischen Christentumskritik des 19. Jahrhunderts ... eine recht oberflächliche Darbietung der Argumentationsmuster" ((6)) auffalle. Hier ist der Autor ein- (393) geladen, eine Kritik der Jesuanischen Ethik aus dem 19. Jahrhundert zu präsentieren und dann zu zeigen, in welcher Weise meine Argumente >recht oberflächlich< dargeboten werden.

((31)) Am Ende seines Beitrags unterscheidet Heinzpeter Hempelmann zwei Alternativen: Entweder war Jesus nicht, was er vorgab zu sein, sondern "ein religiöser Aufschneider" ((17)); dann wird man alle seine Aussagen und nicht, wie ich dies tue, einen Großteil derselben verwerfen. Oder aber Jesus war, was er beanspruchte, also der Sohn Gottes. Dann wird man alle seine Aussagen akzeptieren müssen und nicht, wie ich dies tue, bloß einige wenige.

((32)) Hempelmann hält die zweite Alternative für richtig: Er glaubt nicht nur an die Wahrheit der Ansprüche Jesu, sondern ist "davon intellektuell – nicht zuletzt auf Grund der historischen Zuverlässigkeit der Auferstehungsnachricht – überzeugt" ((17)). Jesus "repräsentier[t]" ((2)) deshalb, so Hempelmann, in seiner Person Gott selbst, er erschließt die göttliche Wirklichkeit, er erhebt "den ungeheuren Anspruch, daß sich über ihn allein Gott als Vater erschließt" ((2)), er gibt "Befreiung von der großen Schuld" ((7; von welcher?)). Jesus redet zwar von der Hölle, doch sei darunter >Gottferne< zu verstehen, und die Trennung von Gott ist für die Religionen aller Kulturen "die zentrale Bedrohung, der es kultisch oder anders [wie denn?] zu begegnen gilt" ((9)). Im christlichen Glauben geht es "nicht um eine Moral ... Jesus ist kein Ethiker oder Weisheitslehrer, dessen Aussagen von der von ihm präsentierten Wirklichkeit gelöst werden und unabhängig von ihr wahr wären." ((16)) Damit weist die Ethik Jesu "über sich hinaus auf den Anspruch Jesu ..." ((17))

((33)) Soweit zur Position Hempelmanns. Es wäre interessant, die einzelnen Punkte zu diskutieren, und in manchem, etwa der Behauptung, daß die >Trennung von Gott für die Religionen aller Kulturen eine Bedrohung< darstellt, hat Hempelmann gewiß recht. Leider bringt er nicht ein Argument – und davon hängen seine Ausführungen ab -, weshalb der Auferstehungsbericht so plausibel sein sollte. Hempelmann möge seine Karten auf den Tisch legen. Inzwischen nährt die Tatsache, daß der Evangelist Markus praktisch nichts über eine Auferstehung Jesu zu berichten weiß, wohl aber der Verfasser des Jahrzehnte später entstandenen Johannes-Evangeliums, weiterhin die Zweifel.

((34)) Horst Herrmann geht in seinem Beitrag weit über die von mir aufgeworfenen Probleme hinaus. Da er jedoch einen sehr ähnlichen religionskritischen Standpunkt einnimmt, sind seine Ausführungen zu >Jüngern< und zur >Tradition< wichtige Ergänzungen meiner Darstellung.

((35)) Unmittelbar auf meine Thesen eingehend, meint Herrmann, daß die Redeweise von >erhitzter Phantasie< der Evangelisten wohl zu harmlos ist; Herrschaftswille sei der richtige Ausdruck, und als Beispiel wird u.a. Paulus zitiert: "Auf Überhitzung läßt sich keine Doktrin gründen, eine solche Kirche schon gar nicht." ((1)) Das mag richtig sein, aber der ungeheure Erfolg des Christentums ist mit einem >Willen zur Macht< meines Erachtens nicht vollständig erklärt (bereits Edmund Gibbon hat sich in seinem Decline and Fall of the Roman Empire diese Frage vorgelegt und eine klassische Studie dazu geliefert); und ob Paulus tatsächlich ein solcher Machtmensch war, ist zwar wahrscheinlich, aber das berühmte Damaskus-Erlebnis erinnert eher an den Anfall eines an Epilepsie, der >heiligen Krankheit< Leidenden; dann aber wäre der Ausdruck >erhitzte Phantasie< treffender als >Machtwille<.

((36)) Herrmann vermißt obendrein eine "gnadenlose Perspektive auf patriarchale Verhältnisse. Dieser Verzicht ist ... schwer verständlich, wenn nicht unverzeihlich." ((6)) >Unverzeihlich< deshalb, weil erst die >Perspektive auf patriarchale Verhältnisse< viele Widersprüche klärt; nur so werde beispielsweise der Zusammenhang von >Liebe< und >Angst< verständlich. Gewiß bin ich auf diese Problematik nicht näher eingegangen; und sicherlich handelt es sich beim Alten und Neuen Testament um überaus >patriarchale< Werke. Ob allerdings Jesus so einfach darauf festzulegen ist, weiß ich nicht: Da gibt es seine Solidarität mit den Armen, zu denen natürlich auch viele Frauen zählten; da war diese sonderbare Beziehung zu Maria Magdalena, die als erste das angeblich leere Grab gesehen haben soll: da bewegen sich – offenbar ziemlich problemlos – Frauen in der Anhängerschaft Jesu; da gibt es das bemerkenswerte Gleichnis mit der Ehebrecherin.

((37)) Ich bin mir also unsicher – obwohl viele Aussagen eindeutig dafür sprechen -, ob Jesus insgesamt patriarchalem Denken verhaftet geblieben ist oder nicht. Ich bin mir allerdings sicher, daß keine Perspektive >gnadenlos< sein sollte, allein schon deshalb, weil man auf diese Weise traditionellem Gedankengut verhaftet bleibt.

((38)) Martin Honecker führt in seinem Diskussionsbeitrag vor, wie man in zivilisierter Weise mit einer Position, deren Grundanschauungen man nicht teilt, umgeht; Honecker könnte alle, die intellektuelle Auseinandersetzungen mit dem Abladen eigenen Mülls vor die Haustüre anderer verwechseln, beschämen.

((39)) Nun zum Inhaltlichen: Auch Honecker sieht Schwächen in der Ethik des biblischen Jesus: Dieser habe "die Institution der Sklaverei nicht in Frage gestellt"; das Neue Testament war "allenfalls um eine Humanisierung der Beziehungen von christlichen Herren zu ihren Sklaven bemüht ..." Die "urchristliche Ethik" nahm "die politische Wirklichkeit, den Staat nur ganz am Rande in den Blick; es fehlt an ökologischer Sensibilität; die Einschätzung der Frau ist an manchen Stellen ... fragwürdig (z.B. 1. Korinther 7; 1. Korinther 14,34); Technik, moderne Medizin und Bioethik sind nicht in Sicht; von Menschenrechten ist nicht die Rede, Demokratie und Partizipation sind fremde Ideen usw." ((9)) Honeckers Hinweise sind deutlich, sein Ausweg ist es auch: Chistliche Ethik ist nicht mit der Jesuanischen gleichzusetzen, und vor allem: Es ging Jesus primär nicht um ethische Probleme, sondern um die Verkündigung der "Wahrheit Gottes ... Von Gott kann man freilich nur indirekt, symbolisch reden, weil Gott als >Geheimnis< der Wirklichkeit dem unmittelbaren denkerischen Zugriff entzogen ist und entzogen bleibt ..." ((4)) Die Gebote, Gott über alles zu lieben und >glaubt an mich<, bedeuten, "theologisch gesprochen, de[n] Ruf Jesu in die Nachfolge", wobei Nachfolge "nicht Imitation eines sittlichen Beispiels, eines ethischen Modells" ist; sie sei "gerade kein ethisches Programm – sondern Glaubenssache" ((7)).

(394) ((40)) Soviel in Kürze zu Honeckers Position. Problematisch an ihr scheint mir zu sein, daß das >Ethische< dem >Religiösen< so weit untergeordnet wird. Wenn es Jesus wirklich primär darum ging, das >Geheimnis der Wirklichkeit< symbolisch zu umschreiben, dieses aber mit moralischen Kategorien nicht zu begreifen ist (wo bleibt dann die Idee des Jüngsten Gerichts?), so erscheint mir dies als Rückfall hinter die Position Hiobs: Das Geschöpf ist zwar an moralische Prinzipien gebunden, nicht aber der Schöpfer. Ähnlich problematisch ist die Honeckersche Bestimmung von >Nachfolge<: Wenn es hierbei vor allem um eine Glaubenssache geht, so stellt sich die Frage, woran geglaubt wird – man kann an unendlich viele Dinge glauben. Und da moralische Kriterien bei der Auswahl keine Rolle spielen bzw. spielen dürfen (Je blinder man glaubt, desto geeigneter ist man!?), ist diese Konzeption der Nachfolge in höchstem Maße problematisch.

((41)) In Detlef Horsters Beitrag geht es zunächst um eine Begriffsklärung. Um unnötige Mißverständnisse zu vermeiden, sei eine solche nachgeliefert: Unter >Moral< verstehe ich die empirisch faßbaren Wertsysteme hinsichtlich des >richtigen< Verhaltens einer bestimmten Gruppe, Epoche etc. So kann man beispielsweise nach der Moral der regierenden Klasse während der Rosenkriege oder nach der Moral von Fußballfans oder eben nach der Jesuanischen Moral fragen. In der Moralphilosophie oder Ethik fragt man nach dem richtigen Verhalten als solchem. Horster, der sich weniger der modernen Diskussion als vielmehr Hegel und Kant verpflichtet fühlt, verwendet die besagten Begriffe jedoch anders: "Ethische Konzepte behandeln die individuelle Identität und beantworten Fragen nach dem individuell guten Leben. In der Moral hingegen ist die Frage zu beantworten, wie man anderen gegenüber handeln soll." ((3))

((42)) Nach dieser Begriffsklärung geht Horster auf seinen entscheidenden Punkt über. Er meint, daß die >Jesuanische Goldene Regel ["Was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen."]< so sehr Allgemeingut geworden ist, daß die Vertreter der christlichen Kirchen "sich zufrieden zurücklehnen und sich sagen [könnten], daß das Werk vollbracht sei." ((4)) Dazu zwei Bemerkungen: Es wurde nicht geleugnet, daß es in der Bibel Aussagen gibt, die es verdienen, ernst genommen zu werden; die Goldene Regel gehört dazu. Die Frage lautet, in welchem Kontext diese Aussagen stehen und wie sie begründet werden (predigen ist leicht ...). Außerdem stellt sich die Frage, ob Jesus zu Recht das Verdienst auf den Ursprung der Goldenen Regel zukommt. Meines Wissens ist sie viel älteren, zudem weitverbreiteten Ursprungs; sie findet sich in der alten jüdischen, antiken und fernöstlichen Philosophie.

((43)) Abschließend meint Horster, daß die "Entscheidung für eine religiöse Lebensweise eine Frage der Neigung" sei, weshalb es "wenig sinnvoll" ist, "rational die Widersprüche" aufzuzeigen ((8)). Gewiß enthält jede Entscheidung, gerade im religiösen Bereich, ein irrationales Moment, aber auch hier gibt es gute und schlechte Entscheidungen: >gut< ist eine Entscheidung dann, wenn derjenige, der sie fällt, sich an dem orientiert, wofür mehr und bessere Argumente sprechen. So würden heute, nach einigen Jahrzehnten Psychoanalyse, auch viele Theologen meinen, daß für die Behauptung der Existenz Satans sehr schlechte Argumente sprechen. Zudem nehme ich an, daß auch Horster seine Bedenken gegenüber dem Opus dei oder dem Opus angelorum hat.

((44)) Zusammenfassend meint Reinhard Kleinknecht, daß ich "gewiß in vielen Punkten recht" habe, sofern ich mich "auf ein vordergründiges Verständnis des christlichen Glaubens" beziehe. "Vordergründig liegt im Christentum in der Tat vieles im argen. Aber hintergründig – und darum sollte es philosophisch gehen – ergibt sich ein anderes Bild." Dort, im Hintergrund, seien meine Argumente "nicht mehr anwendbar". ((11))

((45)) Nun ist kaum zu bestreiten, daß es in der Philosophie häufig darum ging, >Hintergründiges< im Sinne von >Überweltlichem< oder >Metaphysischem< zu erforschen. Aber in einer anderen philosophischen Tradition, nennen wir sie die empirische, war dies gerade nicht der Fall. Empiristen ging es um keine metaphysische >wahre Welt< ( ... >endlich wurde diese zur Fabel<, meinte Nietzsche erleichtert ...), sondern um eine >Hinführung zum Diesseits<. Kleinknecht sei es natürlich unbenommen, wenn er die Meinung vertritt, daß die Philosophie Metaphysik sein sollte; zwingend ist dies jedoch keinesfalls.

((46)) Doch wie stellt er sich die Hinführung zum Hintergründigen, den Weg vom Profanen zum Sakralen, den itinerarium mentis in deum vor? Zunächst einmal geht es um eine Klärung der Frage, "was es überhaupt heißt, daß Gott etwas will ... Ohne eine solche Klärung bliebe man im Vordergründigen stecken." ((5)) Mit dieser Begriffsklärung ist jedoch nicht gemeint, daß man sich nun die Theodizeefrage stellt, denn das bedeutete, "Gott gleichsam auf die Anklagebank" ((10)) zu setzen. Nein, Gott ist "nicht in einem weltlichen Sinne >gut<, sondern >heilig<". Wir besitzen keine "Maßstäbe, um über Gott zu richten. Darum lehnt der Christ die Theodizee ab." ((11))

((47)) Nachdem soweit geklärt ist, was unter >Gottes Wille< zu verstehen ist, kommt Kleinknecht auf die christliche Ethik als solche zu sprechen. In ihr gehe es nicht "um das innerweltlich Gute, sondern um das überweltlich Heilige." Indem der Glaubende "sich seiner Geschaffenheit bewußt wird, erhebt er sich geistig über die Welt, gewinnt er innerweltliche Unabhängigkeit, geistiges Königtum." Die christliche Ethik "handelt von der Verfehlung der Jenseitsbestimmung des Menschen, also vom Heilswidrigen. Sie nennt das Sünde." ((11))

((48)) Kleinknechts Ausführungen dürften ziemlich genau das ausdrücken, was von vielen modernen Christen geteilt wird. Dennoch erheben sich einige fundamentale Einwände: Ob es in der christlichen Ethik tatsächlich nicht um >das innerweltlich Gute< geht, sei einmal dahingestellt. Immerhin stehen Kleinknechts Ausführungen in Widerspruch zu jenen Passagen in der Bibel, in denen Gott sehr wohl mit moralischen Kategorien, zumeist mit denen der Gerechtigkeit, beschrieben wird. Sodann ist es ein etwas sonderbares Unterfangen, eine Ethik aufzubauen, in der die entscheidende Instanz keinen moralischen Kategorien unterliegt. Wie könnte ein solches Wesen ein Rückhalt für Moralität sein? Und schließlich: Wie könnte ich wissen, daß es sich bei dem ganzen Entwurf um kein Produkt der menschlichen Phantasie handelt? Klein- (395) knecht müßte zeigen, daß es ein Wesen gibt, das zwar keinen moralischen Kategorien unterliegt, das aber für die menschliche Ethik ausschlaggebend ist; und daß es Geschöpfe gibt, die an dieser Wirklichkeit mittels besonderer Fähigkeiten teilhaben können. In gut protestantischer Manier zu behaupten, daß dies eben Sache des Glaubens sei, ist vordergründig und genügt, da sich unendlich viele Dinge glauben lassen, nicht.

((49)) Mit Hartmut Kliemt verbindet mich zweierlei: eine Wertschätzung für den schottischen Philosophen und Historiker David Hume und eine solche für die westliche, liberale, gewaltenteilig organisierte Demokratie. Innerhalb dieses Rahmens gibt es allerdings einige Unterschiede:

((50)) a. So vertrete ich die Meinung, daß bei gegebener Gottesfurcht die vorgegebene Gottesliebe eine Heuchelei sein muß. Kliemt ist nicht dieser Meinung, denn es sei psychologisch möglich, "jemanden zugleich zu lieben und zu fürchten" ((7)). Nun hat insbesondere Rudolf Otto in seiner Religionsphänomenologie darauf hingewiesen, daß gerade im religiösen Bereich Dinge zu faszinieren vermögen, die man im Grunde fürchtet. Aber zwischen diesem tremendum et fascinans und dem Gefühl der >Liebe< scheint ein wichtiger Unterschied zu bestehen: Wenn ich x liebe, so genieße ich u.a. die Nähe von x. Fürchte ich jedoch x, so genieße ich seine/ihre Anwesenheit gerade nicht. Also kann man schwerlich lieben, was man fürchtet.

((51)) b. In meinem Beitrag habe ich die Vermutung geäußert, daß zwischen den überzogenen christlichen Liebesgeboten und der Tendenz zur Vernichtung anderer ein Zusammenhang besteht. Kliemt hält diese These für >eher spekulativ< ((9)). Allerdings gibt hier zu denken, daß Länder, die polytheistisch oder gar buddhistisch geprägt sind, insgesamt aggressionsfreier als monotheistische Länder zu sein scheinen. Ein Beispiel: Im winzigen Nordirland wurden innerhalb von zwei Jahrzehnten wahrscheinlich mehr Christen von anderen Christen umgebracht, als während einer 300 jährigen Herrschaft im riesigen Römischen Reich Heiden Christen ermordet haben.

((52)) c. Kliemt meint, daß ich mit einer "impliziten Lobpreisung der Selbstlosigkeit ... einem der schlimmsten von den christlichen Moralpredigern geförderten Irrtümer" erliege ((4)). Ein Irrtum sei dies deshalb, weil Moralität nicht der Eigenliebe entgegengesetzt ist. Nun glaube ich nicht, der Selbstlosigkeit das Wort geredet zu haben, ich bin allerdings der Meinung, daß Eigenliebe zum Aufbau einer Ethik allein nicht genügt; ein >Eigeninteresse an moralischem Verhalten< müßte noch hinzukommen, denn ohne ein solches wäre es >moralisch<, da der Eigenliebe förderlich, sich wie ein Trittbrettfahrer zu verhalten. Kliemt bringt zur Stützung seiner These eine Definition Woody Allens: Ihr zufolge sei Masturbation >Sex mit jemandem, den man wirklich liebt<. Woody Allens Definition in Ehren, doch ich gehe weiterhin davon aus, daß es sexuelle Vereinigung mit Menschen gibt, die man noch wirklicher als sich selbst liebt.

((53)) Neben Woody Allen beruft sich Kliemt auf David Hume. Nun hatte dieser, wie bereits John Mackie gezeigt hat, im dritten Buch seines Treatise of Human Nature eine Ethik aufzubauen versucht, in der Eigenliebe tatsächlich eine zentrale Rolle spielt – in der elf Jahre später erschienenen Enquiry concerning the Principles of Morals (dt.: Reclam – Verlag, 1996) sind es jedoch sympathy, womit in dieser Schrift >Wohlwollen< gemeint ist, und utility, das gerade auch den Nutzen für die Allgemeinheit, den >Gemeinsinn<, einschließt. Kliemt kann sich also nur bedingt auf Hume berufen. Natürlich könnte er sich auf keine christliche Ethik seit Kant berufen; aber auf das Menschenbild der Bibel kann er sich problemlos berufen.

((54)) Kurt Kotrschal, Naturwissenschaftler, "bekennender Agnostiker" ((1)) und Landsmann, geht es um eine Erhellung des Ursprungs der Ethik. Doch ehe er damit beginnen kann, "stolpert der Naturwissenschaftler über die allgemein gebrauchten Begriffe >Vor- und Nachteile<" ((2)) der christlichen Ethik. Denn alle Ethiksysteme seien evolutionär entstanden, und Evolution sei ein >blinder, ungerichteter Prozeß< ((3)). Daraus schlußfolgert Kotrschal: "Als Naturwissenschaftler habe ich daher weder Veranlassung noch Berechtigung, wertend über Wertsysteme zu befinden ..." ((3)) Damit ist meinem Unterfangen der Boden entzogen.

((55)) Doch kann Kotrschal wirklich meinen, was er da sagt? Ein Wertsystem, in dem beispielsweise der Stierkampf propagiert wird, soll einem Wertsystem gleichwertig sein, in dem dies nicht geschieht? Habe ich wirklich weder >Veranlassung noch Berechtigung<, die nationalsozialistische oder stalinistische Ethik zu bewerten, nämlich als >menschenverachtend< und >äußerst negativ< hinzustellen? Wenn sich Kotrschal am Ende seines Diskussionsbeitrages "überzeugter Vertreter der Aufklärung" ((15)) nennt, so nehme ich doch an, daß er nicht aus einer Laune heraus überzeugt ist, sondern deshalb, weil seiner Ansicht nach die Werte der Aufklärung besser sind als unaufgeklärte Ethiken.

((56)) Vor allem ist es jedoch meine Kritik der Jesuanischen Form des Motivierens, die Kotrschal stört. Als >evolutionärer Biologe< ((8)) kommt er zum Ergebnis, daß "diese Art der Motivierung mit den neueren Erkenntnissen zur evolutionären Basis menschlichen Verhaltens im Einklang" steht und "daher nicht nur nicht zu kritisieren, sondern im Gegenteil, als äußerst erfolgversprechend, weil der menschlichen Natur angemessen, zu bezeichnen" ((9)) ist. Im Gegensatz zum nüchternen Naturwissenschaftler sei ich deshalb ein >unrealistisch idealistischer Philosoph< ((8)).

((57)) Dazu sind mehrere Dinge zu bemerken: Ob die Jesuanische Art des Motivierens tatsächlich der menschlichen Natur entspricht, sei einmal dahingestellt: Wenn Kotrschal recht hat, dann entsprechen die meisten Ethiken, auch die christlichen Ethiken seit Kant, der menschlichen Natur jedenfalls nicht. Außerdem scheint Kotrschal einer eher ungenauen Lesart zu frönen, habe ich doch nirgendwo bezweifelt, daß die biblische Form der Motivierung >erfolgversprechend< sei; ich habe vielmehr meine Bedenken geäußert, ob sie ethisch akzeptabel ist oder nicht. Kotrschal faßt seine Moralauffassung in fast kategorischer Schärfe zusammen: >Tue Gutes und rede darüber!< Meine moralischen Intuitionen lauten allerdings anders: >Tue Gutes und rede nicht darüber!<. Für intellektuelle Leistungen mag man durchaus Anerkennung erstreben, aber ein solches Streben zerstört den Wert moralischen Handelns nachdrücklich.

(396) ((58)) Kotrschals Auffassung von Moralität zeigt sich am besten an seinem Hauptargument: "Gerade am Beispiel der Mutterliebe ... ist die ... Blauäugigkeit Stremingers gut zu belegen. Mutterliebe wird tatsächlich mit der einzigen, evolutionär stichhaltigen Währung entlohnt, nämlich dem Überleben und der Erhöhung der Reproduktionschancen des Nachwuchses. Das mag Mutter und Kind nicht bewußt sein ..." ((10)) Und Kotrschal scheint nicht bewußt zu sein, daß es oft eine besonders intensive Liebe von Müttern zu ihren Kindern gibt, deren Überleben keineswegs gesichert und deren Reproduktionschancen minimal sind. Offenbar werden diese nicht mit der >einzigen, evolutionär stichhaltigen Währung entlohnt<.

((59)) Kotrschal wirft mir schließlich einen mangelnden Respekt gegenüber Glaubenden und eine zu große Wertschätzung der ratio vor. Nun habe ich mich nirgendwo negativ über Glaubende geäußert, sondern den Inhalt des Glaubens hinterfragt. Und diese Vorgehensweise ist naheliegend, taucht doch hinsichtlich des Glaubens permanent die Frage auf, woran geglaubt werden soll – und diese Frage kann nur die viel gelästerte ratio beantworten. Angesichts einer neuen Unübersichtlichkeit scheint der Verstand – d.h. die Fähigkeit, Pro- und Kontra-Argumente gegeneinander abzuwägen und sich an dem, wofür gegenwärtig am meisten spricht, zu orientieren – die einzige Möglichkeit zu sein, in möglichst autonomer Weise Unplausibles von Plausiblem zu trennen. Leider wissen die meisten nicht näher, was sie glauben und warum sie es tun.

((60)) Bernhard Lang nimmt in seinem Artikel eine Schwerpunktverschiebung vor: Religion ist für ihn in erster Linie Gotteserfahrung und Kult, das Gefühl "schlechthinniger Abhängigkeit" ((1)), und erst in zweiter Linie Ethik. Diese Perspektive hat, wie der Autor sogleich bemerkt, den großen Vorteil, daß der "Streit um die christliche Ethik nüchtern und aus einer gewissen Distanz zu sehen" ist ((1)). Und von diesem Blickwinkel aus enthalten die "ethischen Weisungen der Bibel ... auch Unvollkommenes, Zeitbedingtes und geradezu Schädliches" ((2)).

((61)) So weit, so treffend. Dennoch sind es drei Punkte, die Lang an meiner Arbeit beanstandet: a. Ich verwendete den Begriff >christliche Ethik< irreführend, da ich nicht ausreichend auf die vorhandenen Spannungen in der Bibel eingehe. Langs Beispiel: "Das >familienfeindliche< Ethos der Evangelien ... ist innerhalb des Neuen Testaments selbst durch eine ausgesprochen familienfreundliche Haltung ersetzt, nämlich im 1. Timotheusbrief." ((3)) Lang hat mit dieser Beobachtung gewiß recht, doch im Zweifelsfall – steht Aussage gegen Aussage bzw. Tat gegen Tat – ist wohl einem Wort Jesu, des >zweiten Adams<, eher Glauben zu schenken als dem Inhalt eines pseudopaulinischen Briefes aus dem frühen 2. Jahrhundert. Dann aber stehen wir erneut vor dem Problem der familienfeindlichen Aussagen Jesu.

((62)) b. Meiner Meinung nach ist die biblische Höllenlehre ethisch unangemessen. Lang argumentiert nun, daß Höllendrohungen und Paradiesversprechen auch einen wichtigen zivilisatorischen Effekt haben: Wenn nämlich Menschen ihrem Ärger auf diese Weise Luft machen, verzichten sie auf einen "tätlichen Übergriff": Ohne "Erwartung einer Hölle im Jenseits würde das Diesseits zur Hölle von miteinander streitenden Menschen." ((5)) Einmal abgesehen davon, daß die Angst vor der Hölle zu schweren psychischen Erkrankungen führen kann, die wiederum Fehlverhalten im Diesseits nach sich ziehen (in diesem Sinn führen jenseitige Höllenvorstellungen gerade zu diesseitiger Hölle!), vermag ich in der >Überantwortung< an eine höhere Autorität nichts Zivilisatorisches zu sehen. Vielmehr ist ein solches Verhalten eher Ausdruck von Ohnmacht, die in diversen Ressentiments ihr Ventil findet. Wenn jemand wirklich gefehlt hat, so sollte er/sie im Hier und Jetzt – und nicht erst in einem blassen Dort und Später – dafür bestraft werden (wie in den frühen Büchern des Alten Testaments ja auch nahegelegt). Eine Bestrafung durch Menschen scheint für Opfer und die Gesellschaft als ganze, da sich niemand an jenseitigen Rachegelüsten weidet, besser zu sein. Wenn Lang schließlich zugespitzt meint: "Ohne Höllenglaube keine Feindesliebe" ((5)), also ohne Ängste vor dem eigenen Verderben keine Liebe zu den Feinden, so wird mir diese sonderbare christliche Tugend nur noch suspekter.

((63)) c. Lang geht auf die biblische Ungerechtigkeit, daß ewige, unendliche Strafen für endliche Vergehen ausgesprochen werden, näher ein. Er meint, wobei er sich auf Hobbes (einen Materialisten!), Fudge, Schillebeeckx und die Adventisten beruft, daß damit in der Bibel häufig eine >lange Zeit< gemeint ist. "Das scheint mir die Lesart zu sein, die der Meinung der biblischen Autoren und ihrer Leserschaft entspricht." ((6)) Aber wenn solches gemeint ist, warum wird es in der Bibel und von späteren Anhängern nicht gesagt? Und wenn >ewig< in Wahrheit >lange Zeit< heißt, warum ist das angebliche Wort Gottes so undeutlich, daß viele Generationen von Gläubigen irregeführt wurden und erst nach fast 2000 jähriger Unheilsgeschichte die wahre Bedeutung des Gesagten erkannt wird? Und was heißt nun >ewiges Leben<?

((64)) Alfred Locker, theoretischer Physiker in der Stadt Sigmund Freuds, geht es nicht um eine Kritik des Denkens, sondern insbesondere um eine solche des Denkenden – >Bloßlegung der Tiefenschicht< ((8)) nennt er bescheiden sein Unterfangen. Und bezüglich der Analyse des Denkenden kommt Locker tatsächlich zu fundamentalen Ergebnissen. Dieser sei "unschwer" als "Außenstehender, wenngleich an der Kritikmöglichkeit Leidende[r], zu diagnostizieren. Damit wäre eine Schwachstelle aufgezeigt, denn eine Kritik sollte aufbauend sein und nicht allzu deutlich die Existenzproblematik des Kritikers verraten. Sie müßte auch versatil genug sein, um zwischen denkbaren Positionen herumspringen zu können ..." ((4))

((65)) Nun muß ich gestehen, daß ich während der Arbeit an der Jesuanischen Ethik nicht versatil herumgesprungen, sondern die meiste Zeit vor dem Computer gesessen bin; auch gebe ich offen zu, daß ich ein Außenstehender bin und mich die christliche Botschaft etwa so wie südamerikanische Indianer-Mythen interessiert. Ob meine Kritik jedoch aufbauend ist oder nicht, läßt sich so allgemein wohl nicht entscheiden: Einige werden sie als befreiend erleben, einigen, die anderes für wichtig halten oder nicht genau lesen können, wird sie als >destruktiv< erscheinen. Weil nicht eindeutig ist, ob meine Kritik der Jesuanischen Ethik nun aufbauend ist oder nicht, bleibt mir auch die Wahrheit der Bemerkung Lockers verborgen, daß er mit seinem Hinweis eine >Schwachstelle< aufgezeigt habe und >allzu deutlich die Existenzproblematik (397) des Kritikers verraten< werde. Spielt Locker mit diesem Hinweis auf seine eigene Situation als Kritiker an? Oder spricht er über mich? Dann möge er bei solchen Andeutungen nicht bleiben, sondern offen sagen, was er meint. Jedenfalls kann ich ihm versichern, daß er Unrecht hat, wenn er glaubt, daß ich ein >an der Kritikmöglichkeit Leidender< bin. Ganz im Gegenteil: Die besagte Arbeit hat mir großen Spaß bereitet, wenngleich ich mich zunehmend zu wundern begann, was Menschen so alles für gottgewollt halten. Zum obigen Zitat schließlich noch ein Wort der Belehrung: Daß sich jemand in einem bestimmten psychischen Zustand befindet, sagt nichts darüber aus, ob das von der Person Gesagte wahr oder falsch ist. Daß Nietzsche unter gewissen Krankheiten gelitten hat, sagt nichts über die Wahrheit des von ihm Gesagten aus. Und auch die Tatsache, daß Bertrand Russell von Gesundheit gestrotzt haben soll, sagt nichts darüber aus, ob sein Warum ich kein Christ bin plausibel ist oder nicht.

((66)) Gern ließe man die ein bisserl peinliche Amateurpsychologie hinter sich und schritte zum Inhaltlichen, doch der Autor läßt nicht locker: Wenig später schreibt er, daß ich mich nach Jesus "im geheimen" sehne ((9)), ihn aber liebenswürdiger, als er tatsächlich war, haben möchte. Mit dem letzten hat Locker gewiß recht, aber – so fragt er tiefsinnig: Ob "dieser Jesus Bekehrung erreicht hätte?" ((9)) Leider ist es weiterhin nicht der Sohn Gottes, der Locker zu interessieren scheint – obwohl es eine so schöne, soeben formulierte tiefsinnige Frage gäbe -, denn wenig später stellt er fest: "Tiefenschichtig ... trägt der Kritiker ... seine Sehnsucht nach Erlösung vor ..." ((9))

((67)) So viel Einsicht ist entwaffnend, und man kann nur hoffen, daß Locker sich den heiligen Texten in nicht so verkorkster Weise, wie ich dies tue, zu nähern versteht und außerdem versatil genug ist, um zwischen denkbaren Positionen herumzuspringen. Er wird dann die Widersprüche in der Jesuanischen Ethik auflösen und, von verdrängten Wünschen frei, das Ganze zu einem konsistenten Ende bringen. Allzu sehr und allzu lange sollte man diese Hoffnung allerdings nicht hegen, denn obwohl Locker über weite Strecken Grundsätzliches an meiner Position auszusetzen hat, kann es "nicht Aufgabe sein", so schreibt er, "die vom Autor nachgewiesenen (und wahrscheinlich noch zu vermehrenden) Widersprüche bei Jesus [noch mehr!?], inklusive die Nichtübereinstimmung mit seiner eigenen Lehre, zu >bonisieren<, abzuschwächen oder zu leugnen." Es ginge vielmehr nur darum, daß die Kritik "auf ein Niveau gehoben werde, das ihr den Vorwurf erspart, aus mangelndem Glauben vorgebracht worden zu sein." ((11)) Im Klartext: Kritik ja, aber nicht von einem "halb und halb Ungläubigen, der sich Skeptiker nennen mag ..." ((4))

((68)) Hubertus Mynarek wirft mir vor, daß ich in meiner Kritik nicht weit genug gegangen sei. Denn es gäbe weder eine Jesuanische noch eine christliche Ethik. Mynareks Argument: Die verschiedenen christlichen Ethiken widersprechen einander heillos, schon ersichtlich in der >Obrigkeitsmoral< Luthers und der >Revolutionsmoral< Müntzers.

((69)) Natürlich hat Mynarek recht, daß die verschiedenen christlichen Ethiken in vielem einander widersprechen. Allerdings gibt es auch Gemeinsamkeiten, die meines Erachtens ausreichen, um von einer >christlichen Ethik< sprechen zu können. Ich denke hier vor allem an die Tatsache, daß in wohl allen christlichen Ethiken Gott eine zentrale Rolle spielt; es handelt sich um >theozentrische< Ethiken (>um Gottes Willen<), im Gegensatz zu Moralphilosophien, in denen der Kosmos oder der Mensch oder das >gute Leben< im Zentrum des Interesses stehen.

((70)) Ähnlich argumentiert Mynarek hinsichtlich der Jesuanischen Ethik. Diese gäbe es "überhaupt" nicht, denn eine Ethik liege erst dann vor, wenn "die Einheit eines Systems" gegeben sei, in dem "das eine aus dem anderen logisch-konsequent hervorgeht, das Ganze auf einem Grundprinzip aufbaut (wie etwa in der Mitleidsethik Schopenhauers) und in sich konsistent-widerspruchslos ist, auch wenn seine Grundannahme falsch" sein sollte ((2)).

((71)) Mynarek dürfte hier aber ein wenig zu viel fordern. Ich stimme ihm zu, daß die Forderungen Jesu zumeist unsystematisch sind und das Ganze obendrein unbegründet bleibt; aber einem Grundprinzip huldigen sie, nämlich dem der Erfüllung des göttlichen Willens; und die von Mynarek als beispielhaft erwähnte Ethik Schopenhauers enthält ebenfalls Widersprüche, zumindest den, daß der Philosoph, obwohl Kantianer und Idealist, das Ding an sich als >Wille zum Leben< bestimmt. Trotz dieses Widerspruchs wird man aber meines Erachtens problemlos von einer >Schopenhauerschen Ethik< sprechen können. >Widerspruchsfreiheit< ist natürlich ein wünschenswertes Ziel, aber ein Widerspruch reicht nicht aus, um einem Entwurf richtigen moralischen Verhaltens die Eigenschaft >Ethik< abzusprechen.

((72)) Wolfgang Nethöfel geht es um Dramatik: "Wo anfangen, wo aufhören?", fragt er gleich zu Beginn, um dann doch einen Einstieg zu finden – überraschenderweise beim Anfang meiner Arbeit. Ich hatte dort versucht, einige Tatsachen herauszuarbeiten, die von Gläubigen und Ungläubigen problemlos geteilt werden könnten. Aber Nethöfel will mit Ungläubigen offenkundig nichts zu tun haben; zudem liebt er nicht nur die Dramatik, sondern auch die Persiflage, und so macht er sich über meine Ausführungen lustig und entwirft eine >Kritik der philosophischen Ethik<. Diese Vorgehensweise ist Nethöfels gutes Recht, zudem literarisch gar nicht so anspruchslos. Er scheint allerdings zu vergessen, daß Philosophen – im Gegensatz zu Theologen und Gläubigen – üblicherweise nicht den Anspruch erheben, daß ihre Äußerungen von Gott selbst stammen. Man wird also an die Bibel andere Maßstäbe und Erwartungen als an philosophische Texte anlegen müssen.

((73)) Leider fehlt es mir, wie Nethöfel hier und anderswo richtig bemerkt, an >wirklicher Einsicht<. So wirft er mir vor, daß ich die "Markinische Gleichnis- und Verstockungstheorie Jesus" ((3)) zuschreibe. Damit ist wohl gemeint, daß die Gleichnis und Verstockungstheorie dem Apostel Markus zuzuschreiben ist und Jesus sie in Wahrheit – zum Glück fehlt es Nethöfel nicht an wirklicher Einsicht – gar nicht vertreten hat.

((74)) Viele Aussagen Nethöfels, gerade auch in den Fußnoten, sind in einem so unappetitlichen Ton verfaßt, daß ich mir den Magen verdärbe, wenn ich näher auf sie einginge. Manch- (398) mal sind sie zudem ziemlich wirr. Was soll beispielsweise das folgende heißen? "Und aus dem Sein Jesu kann man auch dann kein Sollen ableiten, wenn man den >Helden des Christentums< ..., so wie Streminger das tut, mal als historischen Urheber einer >Jesuanischen Ethik<, mal als >biblischen Jesus< ..., bezeichnet, mal als >Erlöser< ..., mal differenzlos als >Gott< ..." ((5)) Daß man aus einem Sein kein Sollen ableiten darf, hat Nethöfel zwar richtig gelernt, aber mir ist nicht bekannt, daß ich aus dem Sein Jesu oder aus diversen christlichen Zuschreibungen desselben ein Sollen abgeleitet hätte; ich habe ein solches vielmehr aus Jesu Aussagen und Predigten deduziert. Noch sonderbarer ist folgender Satz: "Unter den patriarchalen Erbgeschichten der ältesten Söhne lehren die Erzählungen schon des Alten Testaments Gottes heimliche Liebe zu den Jüngeren, Verstoßenen, Kriegsverlierern, die von listigen, ausländischen, >unmoralischen< Frauen vermittelt wird." ((9)) Gottes heimliche Liebe zu den Jüngeren ..., die von listigen ... Frauen ... vermittelt wird?

((75)) Mögen andere entscheiden, was von Sätzen wie diesen zu halten ist. Ich frage mich lieber, was Nethöfel als Alternative zu meinen kritischen Ausführungen anzubieten hat. In Absatz 7 kommt er darauf zu sprechen: ">Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in ihm.< ... Jeder versteht das, was dann in der Tat schwierig zu tun ist." Nach der Lektüre von Nethöfels Artikel versteht jeder ohne Einschränkung, wie schwierig es dem Autor fällt, in der Liebe zu bleiben; auch ist christliche Bescheidenheit seine herausragende Tugend nicht, vielmehr dürfte es eine gelegentliche Naivität sein. Denn die Schwierigkeit, Gott als >Liebe< anzusehen, hängt auch mit der seit Jahrhunderten diskutierten Frage zusammen, wie diese Liebe mit den Übeln der Welt verträglich sein sollte. Nethöfel schweigt sich darüber aus. Vielleicht könnte er einmal hier mit seinen Analysen beginnen (>Wo anfangen, wo aufhören?<), sich also mit den >klassischen< Problemen der Theologie und Religionsphilosophie beschäftigen: mit den Gottesbeweisen etwa, eben dem Theodizeeproblem, mit der Behauptung der Existenz einer unsterblichen, unkörperlichen Seele, die dennoch empfinden kann, etc. Nethöfel könnte die Sache einen Schritt vorwärts bringen, und als Folge davon stünden seine Ausführungen auf nicht so wackeligen Beinen. Als Einstieg sei ihm Gottes Güte und die Übel der Welt empfohlen. In dem fast 450 Seiten langen Buch zur Religionsphilosophie wird er auch umfangreiche Literaturhinweise finden, deren Fehlen er monieren zu müssen glaubt.

((76)) Peter Rech wirft mir wohl vor allem vor, daß ich in Jesus keinen großen Philosophen sehe. Diese Frage zu diskutieren, hätte mich besonders interessiert, aber leider ist der Artikel von Rech sehr schwierig zu lesen und mir in vielem nicht zugänglich. Was ist beispielsweise der tiefere Sinn des Folgenden: Über Jesu "Begehren Konkretes wissen zu wollen, wäre geradezu unlogisch. Dies ist die tiefere Wahrheit der christlichen Sexualmoral ..." ((3)) Wenig später heißt es: "Das Jesuanisch-Messianische betraf eine Beziehung zu Gott, die als SEIN Begehren begriffen wurde. Philosophie?" ((4)) Oder: "Von der Hölle zu sprechen (Jesus tut dies nur [sic!] >etwa zwanzigmal<) ..., wird zur Hypothek jedes als Philosophie gelebten Lebens." ((8))

((77)) Rech entgeht allerdings nicht, daß ich Jesus auch etwas sehr Positives zuschreibe: "Was an Jesu Anteilnahme nicht hoch genug anzurechnen ist, ist seine Parteilichkeit für die Armen und Entrechteten ..., welche in Stremingers Worten auch in bewundernder Verbundenheit zum Ausdruck kommt." ((6)) Obwohl ich konkrete Zustimmungen üblicherweise nicht zitiere, mache ich hier eine Ausnahme. Denn häufig wurde mir vorgeworfen, daß ich zu wenig auf die >Spannungen< in der Bibel eingegangen sei. Doch diejenigen, die diesen Vorwurf erheben, übersehen völlig die >Spannung<, daß ich trotz der Unsystematik der Lehren Jesu drei Hauptgebote herausarbeite – oder eben, daß ich an seiner Botschaft vieles auszusetzen habe, daß ich allerdings Jesu Eintreten für die Armen und Entrechteten hochschätze. Obwohl dieser Punkt in der Zusammenfassung am Anfang des Textes noch deutlich hervorgehoben wird, wird er nicht als erwähnenswert erachtet – außer von Rech (und Honecker); dieser Unwille, einem Text gerecht zu werden, ließe tief blicken.

((78)) Friedo Ricken fragt sich zunächst verwundert, wie eine Zeitschrift, die vorgibt, dem wissenschaftlichen Denken verpflichtet zu sein, einen Beitrag wie meinen akzeptieren könne, bei dem "nicht" zu sehen ist, "worin die zu diskutierende wissenschaftliche Frage besteht" ((1)). Ricken ist tatsächlich verwirrt: Geht es um Kirchengeschichte, fragt er erstaunt. Oder geht es um Religionsgeschichte? "Aber vielleicht sind Soziologie und Gesellschaftskritik der Gegenstand: der Reichtum der Kirchen ..., die Ausbeutung der einfachen Gläubigen durch die Kirchen ..., die Einstellung der Christen gegenüber den Medien und ihr Einfluß in der Medienindustrie ... und die vieldiskutierte Frage ‘Christentum und Umwelt’ ...Ich habe zwar ein volles Theologiestudium, aber ich bin auf den vielen einzelnen Gebieten, die in diesem Artikel angesprochen werden, leider nicht Fachmann. Wollte ich auf die Themenvielfalt, die hier zur Sprache kommt, eingehen, so wäre dies notgedrungen dilettantisch, und das ist in einer seriösen, wissenschaftlichen Zeitschrift sicher nicht erwünscht." ((1)) Nach dieser öffentlich bekundeten christlichen Bescheidenheit, und obwohl Ricken nicht sehen kann, >worin die zu diskutierende wissenschaftliche Frage besteht<, und obwohl er >auf den vielen Gebieten, die in diesem Artikel angesprochen werden, leider nicht Fachmann< ist, geht er nun forsch dazu über, mir Dilettantismus vorzuwerfen. Dabei werden Passagen so hämisch aus dem Kontext gerissen, daß ich Probleme habe, auf die Einwände zu antworten.

((79)) Ein Beispiel möge für einige stehen: Ricken stößt sich gleich zu Beginn am Ausdruck >Seelenmüll< und macht, mit erhobenem Zeigefinger, den Herausgebern der Zeitschrift den Vorwurf, solches zu dulden. Hätten sie den Artikel zensurieren sollen? Dies ist in einer seriösen Zeitschrift, vielleicht anderswo, nicht gerade üblich. Ricken erwähnt freilich nicht, in welchem Kontext das besagte Wort gefallen ist, und damit dieser nicht verloren geht, sei die betreffende Passage aus der Bibel nochmals zitiert: "Jesus sprach zu den Dabeistehenden: Nehmt das Pfund von ihm und gebt es dem, der die zehn Pfunde hat. Und sie sprachen zu ihm: Herr, er hat ja schon zehn Pfunde! Ich sage Euch aber: Wer da hat, dem wird gegeben werden; von dem aber, der nicht hat, wird auch genommen werden, was er hat. Doch jene meine Feinde, die nicht wollten, daß ich über sie König würde, bringt her und erschlaget sie vor mir." Wenn das kein Seelenmüll ist ... !?

(399) ((80)) Überhaupt rede ich nach Ricken zu undifferenziert von der christlichen (auf diese bin ich allerdings nicht näher eingegangen) und der Jesuanischen Ethik. Aber geht es, so fragt er, "um den Jesus des Matthäus-Evangeliums, den Lukanischen Jesus, den Johanneischen Jesus, den Paulinischen Jesus?" ((2)) Es geht um das Jesus-Bild, das in den Evangelien entworfen wird. Gäbe es tatsächlich so große Unterschiede zwischen den verschiedenen Evangelisten, so wird das Problem nur noch größer, denn nun stellt sich die Frage, nach welchem Kriterium die passende Interpretation gegenüber anderen möglichen auszuwählen ist. Gewiß recht hat Ricken allerdings mit einigen Ausführungen – "beckmesserische Bemerkungen" ((5)), nennt er sie -, in denen einige Übersetzungs- und Zitierfehler korrigiert werden. Diese sind höchst ärgerlich und die betreffenden Passagen bedürfen der Verbesserung. Nur: Das Gesamtbild vermögen sie keinesfalls zu verändern.

((81)) Grundsätzlich vermißt Ricken in meiner Darstellung ein >principle of charity<, womit gemeint ist, daß man einen Text so wohlwollend als möglich interpretieren sollte. Dem kann ich nur vollinhaltlich zustimmen, aber bei einem Buch, in dem es von Gewalttätigkeiten, Unmenschlichkeiten und Maßlosigkeiten nur so wimmelt, ist es schwierig, >wohlwollend< zu bleiben; am besten ist es, das Buch mit mehr oder weniger Sympathie zu schließen und sich nach Interessanterem umzusehen. Die eine oder andere Passage mag noch so uminterpretiert werden können, daß sie einem Mindestmaß an moderner Humanität entspricht; insgesamt scheint mir dies allerdings unmöglich zu sein. Dennoch würde ich daran festhalten, daß das Neue Testament einige bedenkenswerte Sinnsprüche enthält, und die Solidarität Jesu mit den Unterprivilegierten bemerkenswert ist. Andere hatten mit dem Buch noch größere Schwierigkeiten: Man solle Handschuhe anziehen, meinte Nietzsche, wenn man es zur Hand nimmt. Denn "die Nähe von so viel Unreinlichkeit zwingt beinahe dazu ... Ich habe vergebens im neuen Testament auch nur nach Einem sympathischen Zuge ausgespäht; Nichts ist darin, was frei, gütig, offenherzig, rechtschaffen wäre. Die Menschlichkeit hat hier noch nicht ihren ersten Anfang gemacht ..."(Der Antichrist, Kap. 46)

((82)) Schließlich noch ein Wort zur Literaturliste. Ricken und andere monieren ihr Fehlen bzw. ihre völlige Unvollständigkeit. Anstoß ist wohl die Person Karlheinz Deschners – diejenige der ehemaligen Theologieprofessoren Herrmann und Mynarek wird es wohl kaum sein -, deren Vorhandensein in der Literaturliste so großes Mißfallen erregt. Nun bin ich tatsächlich der Meinung, daß die Arbeiten von Deschner – die eines lange Zeit einsamen Rufers in der Wüste – ein gewichtiges Gegengewicht zur üblichen Hofberichterstattung darstellen; daß er aber so prominent aufscheint, ist reiner Zufall. Obwohl mein Artikel schon um einiges zu lang geraten war, hätte ich andere Bibel- und Religionskritiker wie Kaufmann, Robinson, Mackie, Albert, Hoerster, Freud, Nietzsche, Schopenhauer, Feuerbach, Holbach, Voltaire, Hume oder Hobbes zitieren sollen (und, wie ich nun sehe, auch zitieren müssen). So viel zur geistigen Richtung, die mir nahesteht. Daß ich auch theologische Bücher kaum anführe, hat mehrere Gründe. Zum einen zitiere ich exzessiv aus dem religiös-theologischen Buch unserer Kultur; zum anderen wollte ich, da ich eben auch kaum kritische Literatur anführe, kein falsches Bild erwecken; und schließlich habe ich keine Arbeit gefunden – von Einzeluntersuchungen natürlich abgesehen -, in der die Jesuanische Ethik als ganze behandelt worden wäre. Das mag Forscherpech sein, aber da auch die Kritiker diesbezüglich schweigen, dürfte hier eine echte Forschungslücke bestehen. Dennoch zeihe ich mich der Naivität, gehofft zu haben, Argumente würden für sich selbst sprechen. Dummerweise hatte ich vergessen, daß in jeder etablierten Institution Kleider Leute machen.

((83)) Josef Römelt nennt meinen Beitrag "ein eigentümliches Sammelsurium wissenschaftlich-exegetischer Halbwahrheiten (ihre Darstellung und Auswertung gibt ungefähr den unverdauten Wissensstand eines Erstsemesters der Theologie wieder) ..." (((1))

((84)) Das sind eigentümliche, wiewohl klare Worte, die ernst genommen werden müssen. Was wirft Römelt mir also konkret vor? Zunächst ist es theoretische Unbedarftheit. So meint er, daß ich "offensichtlich etwas von der Diskussion der christlichen Exegeten über die Theodizeefrage in der Bibel gehört" ((2)) habe. Hier sei Römelt die Lektüre meines 1992 im Mohr-Verlag in Tübingen erschienenen Buches zum Theodizeeproblem empfohlen. Gewiß wird es ihm nicht gefallen, aber vielleicht ist er dann zumindest nicht mehr der Meinung, daß ich das Problem, wie die Güte Gottes mit den Übeln in einer von ihm abhängigen Welt verträglich sein könnte, nur vom Hörensagen kenne.

((85)) Ähnlich unkundig scheint Römelt bezüglich der Philosophiehistorie zu sein. So wirft er mir vor, daß ich mich auf Nietzsche berufe, der mit seiner Konzeption des >Übermenschen< "zumindest indirekt mit zum geistigen Hintergrund des nationalsozialistischen Rassenwahns der Arier" ((7)) geworden ist. Nun berufe ich mich nicht auf Nietzsches Konzeption eines Übermenschen, sondern auf dessen Kritik der christlichen Leibfeindlichkeit. Was das mit Nationalsozialismus zu tun haben soll, will mir nicht so recht einleuchten. Vor allem aber hat Walter Kaufmann gezeigt, daß sich die Nazis zu Unrecht auf Nietzsche berufen haben, da dieser – von einigen überzogenen Formulierungen einmal abgesehen – für eine ganz andere Weltanschauung stand. Das Nietzsche-Buch von Kaufmann ist weit verbreitet, Römelt scheint es nicht zur Kenntnis zu nehmen.

((86)) Des weiteren bedauert er, daß ich keine Alternativen zur christlichen Ethik nenne. Gewiß wäre es interessant gewesen, hier auf andere Entwürfe einzugehen. Aber mein Beitrag hat nun einmal eine Kritik der christlichen Ethik zum Gegenstand, und es wäre einfach gewesen, sich in einer beliebigen Geschichte der Ethik – es braucht ja nicht die atheistische Friedrich Jodls zu sein – über Alternativen zur Vorstellung von Gott als dem archimedischen Punkt auch der Moral zu informieren.

((87)) Vor allem aber wirft Römelt mir eine >naive Bibellesung< ((3)) vor: Ich unterschiede nämlich nicht "die Ebenen historischer Jesusworte, alttestamentlicher Traditionsmotive, verschiedener Überlieferungsschichten und gemeindlicher Bildungen ..." ((4)). Aufgrund dieses Mangels ergehe ich mich in "Andeutungen, Unterstellungen und Anspielungen" (Fußnote 1). Das klingt bedeutungsschwer, die Hoffnung, endlich (400) zu erfahren, was in den evangelischen Berichten nun Beiwerk ist und was >historische Jesusworte< sind, wird jedoch enttäuscht. Es existieren in der Literatur einige Versuche, die historischen Jesusworte herauszuarbeiten und von exegetischem Beiwerk zu befreien; aber meines Wissens sind alle diese Versuche gescheitert. Die vielbeschworene >Schichtenmethode< scheint also nicht zu halten, was ihre Vertreter anderen und sich selbst davon versprechen. Aber vielleicht weiß Römelt, was Jesus wirklich gesagt hat und wie dieser auf moralische Weise Menschen zu ethischem Tun motiviert hat; dann möge er dies auch öffentlich sagen. Ich hätte da noch andere Fragen an ihn: Warum ist eigentlich das Reden von der Hölle als Bild zu verstehen, nicht aber – so nehme ich einmal an – die Auferstehung Jesu? Ist das Gerede von Satan bloß ein Bild der Gemeinde? Wenn ja, warum ist es das Reden von Gott nicht? Gibt es jedoch Hölle und Satan wirklich, wie verträgt sich das mit einem mächtigen und gerechten Gott?

((88)) Römelt kommt mehrmals darauf zu sprechen, daß ich die Historizität Jesu in Frage stelle, aber es gäbe doch außerbiblische Erwähnungen, bei Tacitus beispielsweise. Nun bin ich in meinem Beitrag ein einziges Mal darauf zu sprechen gekommen – nicht, um die Historizität Jesu zu leugnen, sondern um auf das Problem aufmerksam zu machen, daß wir die Evangelien-Berichte, die Berichte treuer Anhänger Jesu also, nicht anhand anderer Berichte überprüfen können. Natürlich gibt es außerbiblische Erwähnungen, aber diese sind – soweit sie mir bekannt sind – äußerst dürftig und sagen praktisch nur über die Existenz Jesu etwas aus. Und warum sollte es sich dabei um keine Fälschungen handeln, wären es doch nicht die einzigen, die im Christentum eine Rolle spielen. Die vielbeschworene >Schichtenmethode< spielt (und spielte) hier in der Interpretation der Textstellen offenkundig keine Rolle.

((89)) Die weiteren allgemeinen Aussagen Römelts über die christliche Ethik sind bedenkenswert, aber ein wenig außerhalb des Rahmens meines Artikels, der sich – wie gleich anfangs betont – praktisch nur mit der Jesuanischen Ethik beschäftigt, von der jedoch jede Ethik, die den Namen >christlich< verdient, abhängen muß.

((90)) Günter Schulte bläst in seinem Beitrag in ein so ähnliches Horn wie ich, daß ich mich des Kommentars praktisch enthalten kann. Sein Beitrag ist eine wichtige Ergänzung zu meinen Ausführungen. So wirft Schulte die Frage auf, weshalb die Jesuanische Ethik so erfolgreich war (und ist) und gibt eine interessante Antwort: "Der hinter seinem christlichen Ideal zurückbleibende Mensch kann zu seiner Rechtfertigung sich immer noch auf den biblischen Jesus berufen, der auch nicht christlich handelte. Die Überforderten handeln letztlich nicht schlechter als das in der Bibel nachschlagbare Vorbild. Gott war eben auch nur ein Mensch." ((4))

((91)) Obwohl Bernd Wagner meinen Analysen hinsichtlich des Inhalts der Jesuanischen Morallehre "vorbehaltlos" ((1)) zustimmt, übt er an mehreren Punkten Kritik:

((92)) Zum einen fehlt ihm der Aufweis der fatalen Folgen der christlichen Ethik. "Nach meiner Auffassung hätten einige Exempel (Heidenverfolgung, Judenverfolgung, Frauenbild) die These des moralischen Dilemmas einer jeglichen christlichen Ethik untermauert und damit deren Ausweglosigkeit bzw. Beliebigkeit gezeigt." ((13)) Hier stimme ich Wagner grundsätzlich zu, ich hatte mich in meinem Aufsatz allerdings nicht mit den Auswirkungen, sondern mit dem Inhalt der christlichen Ethik beschäftigt; außerdem gibt es bezüglich der Kirchengeschichte wesentlich kompetentere Forscher als mich.

((93)) Wichtiger sind Wagners Einwände bezüglich meiner metaethischen Position. Hier vertritt er die These, daß erst dann von >Ethik< gesprochen werden sollte, wenn Universalisierbarkeit und Kohärenz vorliegen. "Indem ich diese als notwendige Kriterien ansehe, vertrete ich gleichzeitig die These, daß in der Jesuanischen Ethik keineswegs >alle wesentlichen Bestimmungsstücke einer Ethik< enthalten sind." ((8)) Wagners Argument: Der Anspruch auf Universalisierbarkeit ist aufgrund der egoistischen und autoritären Motivationslage nicht gegeben; ewige Höllendrohungen ersetzen Überzeugungskraft und Einsehbarkeit. Ähnliches gilt für den Kohärenzanspruch. "Unter Kohärenz verstehe ich dabei den Grad der Einheitlichkeit und logischen Stimmigkeit einer ethischen Theorie." ((10)) Die Inkohärenzen und teilweise völlig divergenten Handlungsanweisungen lassen es jedoch als unmöglich erscheinen, daß es eine einheitliche Jesuanische Morallehre geben könne. Allein die Pluralität der Glaubensgemeinschaften verdeutliche dies zur Genüge.

((94)) Soweit Wagner. Ob allerdings die Inkonsistenzen ausreichen, das Kohärenzpostulat ad absurdum zu führen, bin ich nicht sicher. Immerhin ging es Jesus und den sich auf ihn berufenden Glaubensgemeinden auch um die Erfüllung des göttlichen Willens; vielleicht wäre daraus eine gewisse Kohärenz abzuleiten. Ähnlich unsicher bin ich mir bezüglich der Universalisierbarkeit. Daß viele Forderungen Jesu nicht verallgemeinerbar sind, scheint mir evident. Aber es findet sich in den Evangelien (wie auch anderswo) die Goldene Regel. Zudem haben christliche Ethiker durch den Hinweis auf das >metaphysische Bedürfnis der Menschen< die Universalisierbarkeit ihrer Forderungen zu erweisen gesucht. Ich halte zwar diese These in ihrer üblichen Bedeutung für falsch, aber erst dann, wenn ihre Unhaltbarkeit gezeigt ist, fällt auch der Anspruch der Universalisierbarkeit.

((95)) Dieser Punkt leitet zum letzten, nämlich der Begründungsproblematik, über. Hier lautet Wagners Argument, daß "die religiöse Form von Moral ... [eine] Ansammlung von Glaubensannahmen ..." ((11)) sei. Eine solche weise jedoch keinen rationalen Anspruch auf, der einen Nichtgläubigen überzeugen könnte; da also eine gewisse weltanschauliche Neutralität fehle, sei die religiöse Moral nicht allgemein begründbar.

((96)) Hier scheint mir Wagner zu sehr in einem modernen protestantischen Kontext verhaftet zu bleiben. In den klassischen Versuchen, die Existenz und das Wesen Gottes zu bestimmen, wird nämlich nicht von religiösen Glaubensannahmen, sondern von logischen Prinzipien ausgegangen. Im ontologischen Beweis etwa wird allein aus der Bestimmung Gottes auf dessen Existenz zu schließen versucht. Ich halte den besagten Beweis zwar für falsch, sehe aber nicht, daß hier Glaubensannahmen eine Rolle spielten. In diesem Sinn gäbe es also eine christliche Begründung, einen universellen Geltungsanspruch.

(401) ((97)) Obwohl ich die christliche Morallehre in vieler Hinsicht für höchst problematisch halte, scheint sie mir den Anspruch >Ethik zu sein< also auch nach den strengen Wagnerschen Kriterien grundsätzlich zu erfüllen.

((98)) Gerhard Zecha stellt seinen Ausführungen einige interessante Definitionen voran, beispielsweise jene über >christliche Ethik<: Sie sei "in bezug auf den Dekalog alttestamentarische Ethik mit dem unter den philosophischen Ethiken einmaligen Zusatz, daß es nicht nur um das diesseitige Leben, sondern vor allem um das jenseitige Leben geht, das zu erreichen durch Christi Leben, Tod und Auferstehung jedem Menschen möglich geworden ist. Überdies ist das in der griechischen Philosophie entwickelte Naturrecht ein wesentlicher Bestandteil der christlichen Ethik." ((5))

((99)) Diese Definition geht natürlich weit über den Rahmen des von mir Behandelten hinaus. Wie bereits mehrfach betont, habe ich nur einen Teil der christlichen Ethik – meines Erachtens den wichtigsten – diskutiert; eine umfangreiche Kritik müßte alle Themen, die soeben aufgeworfen wurden, behandeln. Die Situation würde jedoch nicht, wie Zecha zu meinen scheint, für Gläubige einfacher, sondern nur noch schwieriger, denn nun müßte zumindest gezeigt werden, was mit dem >ewigen Leben< gemeint ist bzw. wer oder was da ewig leben soll.

((100)) Aus der Definition schließt Zecha, daß ich die christliche Ethik nicht nur nicht vollständig, sondern auch sehr ungerecht behandle, denn auf das Jenseits komme ich fast gar nicht zu sprechen – "bis zum vorletzten Absatz", wo ich feststelle, daß die "christliche Ethik auf unbeweisbaren Annahmen beruhe". ((6)) Zecha: "Auch diese Auffassung [von der Unbegründetheit der christlichen Ethik] ist zu korrigieren, denn die religiös-metaphysischen Annahmen oder Wahrheiten über den liebenden und gerechten Gottvater, den menschgewordenen Gottessohn und Erlöser Jesus Christus und den Vollender der Heilsgeschichte, dem Heiligen Geist, über die unsterbliche Seele des Menschen und die Freiheit seines Handelns machen gerade das spezifisch Christliche der christlichen Ethik aus." ((6))

((101)) Hier schüttelt der Philosoph den Kopf, denn Zecha scheint einen Denkfehler zu begehen. Die These, daß die christliche Ethik ohne Fundament sei, kann nicht dadurch korrigiert werden, daß man – richtigerweise – auf weitere Momente der christlichen Ethik verweist; eine These A ist nicht dadurch widerlegt, daß man eine These B vorbringt, die zwar richtig ist, die aber mit These A nichts zu tun hat.

((102)) Aber Zecha scheint das Problem selbst zu bemerken, denn sogleich heißt es: "Natürlich kann und soll nach einer Begründung gefragt werden, nach der Existenz eines allgütigen Gottes, nach der Auferstehung Christi und dem heilsgeschichtlichen Wirken des Heiligen Geistes. Vom Christen wird aber im Glauben, im Vertrauen auf das Wort Christi und auf die historische Wahrheit der Bibelaussagen alle Begründung gesehen und erlebt, denn Christus ist am Kreuz gestorben, >damit jeder, der an ihn glaubt, ewiges Leben habe< (Jo 3:15)." ((7))

((103)) Nach so großem Vertrauen in die Wahrheit der christlichen Botschaft ist es schwierig, den eigenen Standpunkt deutlich zu machen. Deshalb nochmals: Es geht nicht um die Ansprüche, die sich in der Bibel finden, es geht um die Begründung derselben (wodurch sie sich von ähnlichen Ansprüchen in anderen Büchern unterscheiden). Daß viele Christen glauben, was von Zecha behauptet wird, ist klar, aber: Glauben allein genügt nicht. Zecha merkt dies selbst und gibt sogar ein Kriterium an, wie eine rationale Widerlegung der christlichen Botschaft aussehen müßte: "Man müßte ... ein Gegenbeispiel bringen, z. B. von einem Menschen, der nachweislich in seinem Leben im biblischen Sinne geglaubt und geliebt hat, aber nicht das ewige Leben gewonnen hat." ((7))

((104)) Endgültig begeht Zecha hier einen Denkfehler, indem er nämlich die Beweislast vom Behauptenden zum Leugnenden, vom Dogmatiker zum – ontisch sparsameren – Skeptiker verschiebt. Natürlich läßt sich die Existenz eines solchen Menschen nicht zeigen – so wie sich auch die Nicht-Existenz Gottes nicht zeigen läßt. Aber daraus folgt nicht, daß dieser Mensch oder dieser Gott existieren; das müßte erst begründet werden. Aus der Tatsache schließlich, daß gewisse Menschen glauben, daß es ein bestimmtes Wesen gibt, läßt sich nicht schließen, daß es dieses Wesen auch tatsächlich gibt; das zu tun wäre ein weiterer Fehlschluß.

((105)) Lassen wir es bei diesen grundsätzlichen Punkten bewenden; mögen andere entscheiden, was von Zechas weiteren Kritikpunkten zu halten ist – ob sie beispielsweise fair sind oder nicht. Dunkel blieben mir u.a. seine Ausführungen zur Anthropologie: "Darüber hinaus sagt uns die biblisch-christliche Anthropologie, daß der Mensch als Ebenbild Gottes geschaffen wurde. In seinem Wesen sehnt sich der Mensch nicht nur nach der Vereinigung mit Gott [?]..., sondern auch nach der Meisterung von Aufgaben, die diesem Wesen entsprechen: >Seid also vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist< (Mt 5:48)." ((11)) Vollkommen und läßt Auschwitz zu ...?

((106)) Insgesamt hält Zecha meine Kritik für "billige Polemik" ((17)); sein Diskussionsbeitrag erscheint mir zwar nicht als billige, aber als bloße Propaganda.

Adresse: Prof. Dr. Gerhard Streminger, A-8490 Bad Radkersburg, Altneudörfl 240