Dr. Michael Schmidt-Salomon, Trier
Leben ohne Gott:
eine Entscheidung für den Menschen
Vortrag, gehalten auf der Veranstaltung "Atheismus und Christentum" im Rahmen der ökumenischen Veranstaltungsreihe „Leben mit und ohne Gott“ (Esslingen, 19.Nov. 1996)
Erstmals veröffentlicht in: Aufklärung und Kritik. Zeitschrift für freies Denken und humanistische Philosophie und. 1/1997, 38-46 © MSS - www.schmidt-salomon.de
Meine sehr geehrten
Damen und Herren!
In
der Esslinger Zeitung vom 4.11. stand in großen Lettern: „Atheist kommt ins
kirchliche Haus“ und darunter fand man den Kommentar: „Berührungsängste dürften
sie nicht haben, die Frauen und Männer des Ökumenischen Arbeitskreises (...).
Wie sonst hätten sie einen ausgewiesenen Atheisten (...) in ein kirchliches
Haus einladen können?“ Nun, ich freue mich, daß Sie den Mut hatten, mich
hierhin einzuladen. Es kommt - wie Sie wissen - sehr selten vor, daß Gläubige
und Nichtgläubige in einen kritischen Dialog miteinander treten. Deshalb möchte
ich mich bei den Veranstaltern ganz besonders herzlich bedanken, insbesondere
bei Herrn Geltz, der mich bisher sehr freundlich
betreut hat - und ich hoffe, daß er dies nach meinem Vortrag nicht
bitter bereuen wird.
Bevor
ich nun beginne, Ihnen darzulegen, warum ich das „Leben ohne Gott“ für einen
„humanistischen Imperativ“ halte, erlauben Sie mir bitte, zwei Vorbemerkungen:
1.
Wie viele andere sog. „AtheistInnen“ bin auch ich
kein reiner Atheist, sondern eigentlich ein Agnostiker, der nur
in seiner Lebenspraxis atheistische Standpunkte vertritt. Das heißt: Ich
maße mir kein Urteil darüber an, ob Gott wirklich existiert oder nicht, ja, ich
halte diese Frage für prinzipiell nicht entscheidbar. Aus lebenspraktischen
Gründen gehe ich aber davon aus, daß wir auf die Rede von Gott
verzichten sollten, weil die Rede von Gott mehr Unheil als Heil unter
die Menschen gebracht hat. In diesem praktischen Sinne bin ich also ein klarer
Vertreter des Atheismus. Ich plädiere ganz entschieden für ein Leben
ohne Gott, und ich werde versuchen, die Gründe hierfür in meinem Beitrag
darzulegen
2.
Ich bin nicht als atheistischer oder agnostischer Missionar hierhin gekommen,
also als einer, der nur bekehren und belehren will, aber nichts lernen. Im
Gegenteil. Als „leidenschaftlicher Wissenschaftler“ erhoffe ich mir von dieser
Diskussion auch, daß Ihre Kritik mir hilft, daß ich mich von meinen eigenen
Fehlannahmen befreien kann. Mit anderen Worten: Für mich geht es in dieser Diskussion
- wie in jeder Diskussion - nicht um Sieg und Niederlage, sondern um das
Erringen eines größtmöglichen Erkenntnisfortschritts, der allen Seiten von
Nutzen ist. Vor Kritik sollte sich also keiner von uns scheuen. Wir haben ja -
außer unseren falschen Argumenten - nichts Wesentliches zu verlieren und ich -
für meinen Teil - würde mich lieber heute als morgen von dem gigantischen
Arsenal meiner Irrtümer verabschieden. Also: Falls meine Argumente Sie in
irgendeiner Weise verletzen sollten, legen Sie dies bitte nicht als böse Absicht
aus, ich versuche nur meinen Standpunkt möglichst klar und deutlich zu formulieren.
Das heißt: Ich werde - obwohl ich mich hier gewissermaßen in der Höhle des
Löwen bewege - nicht um den heißen Brei herum reden. Das wiederum hat zwei
Vorteile: Erstens dürfte der Abend dadurch ein wenig spannender werden. Zweitens
erhöht sich dadurch auch die Chance, daß Sie mich widerlegen können, falls ich
tatsächlich irgendwo einen Fehler begehen sollte.
Nach
dieser allgemeinen Vorbemerkung nun in medias res. Ich werde meinen Vortrag in
drei Teile untergliedern:
Der
1. Teil ist überschrieben mit: „Warum es - aus humanistischer Perspektive -
prinzipiell problematisch ist, mit Gott zu leben und zu argumentieren“.
Es geht hier um eine Darlegung der Gründe, die prinzipiell gegen jegliche Form
von Gottesglauben sprechen. Nach diesen allgemein-religionskritischen
Überlegungen werde ich mich dann im 2. Teil speziell mit dem
christlichen Gottesglauben beschäftigen. Dabei konzentriere ich mich auf die Probleme,
die meiner Meinung nach mit diesem spezifischen Glauben verbunden sind, das
heißt: ich vernachlässige die positiven Aspekte, die selbstverständlich auch im
Christentum zu finden sind. Im abschließenden 3. Teil werde ich
versuchen, ein knappes Resümee zu ziehen. Dabei werde ich Überlegungen darüber
anstellen, welche Bedeutung die traditionellen Religionen für den Aufbau einer
freieren, gerechteren, kurz: humaneren Kultur haben könnten.
1.
Teil: : Warum es - aus humanistischer Perspektive - prinzipiell problematisch
ist, mit Gott zu leben und zu argumentieren
Ich
sehe insgesamt drei gravierende Probleme, die prinzipiell aus jedem intakten
religiösen Glauben an Gott, Götter oder Göttinnen erwachsen.
1.
Das Grundproblem des religiösen - auf Gott ausgerichteten - Denkens besteht
meines Erachtens darin, daß jede religiöse Argumentation notwendigerweise auf Etikettenschwindel
beruht, da hier menschliche Wirklichkeitskonstruktionen mit anderen als
menschlichen Gütekriterien (z.B. „göttlicher Wille“) versehen werden, was
zu einem unlauteren Wettbewerb der Gedanken und damit zu einem Verstoß
gegen das Prinzip der Gleichberechtigung führt. Was ist damit gemeint? Nun, der
religiöse Mensch benutzt im Gegensatz zum Nichtreligiösen nicht nur Argumente,
die in der „Welt des Menschen“ beheimatet sind (die gegeneinander abgewogen und
modifiziert werden können), er benutzt zudem noch Argumente, die ihrem Anspruch
nach einer höheren Ebene angehören (die durch menschliche Argumente nicht
aufgehoben werden können). Durch diese pseudotranszendentale, letztlich
erschummelte Verstärkung seiner Argumente wird der religiöse Mensch - wenn er
religiös argumentiert - unangreifbar. Er steht über den Dingen, berichtet über
höhere Einsichten. Konsequenz: Er überhöht sich selbst, übervorteilt und
erniedrigt seine nichtreligiösen KommunikationspartnerInnen,
die in der Kommunikation nicht mit gezinkten Karten spielen. Dieses
prinzipielle Ungleichgewicht in der Argumentation ist der Grund dafür, daß es
in der Regel nicht zu einem wirklichen und ehrlichen Dialog von Gläubigen und
Nichtgläubigen kommen kann.
2.
Religiöses Denken ist auch deshalb problematisch, weil es (durch seine
jenseitige und nicht diesseitige Begründungsform) jede rationale, menschliche
Argumentation außer Kraft setzt und damit eine nicht mehr hinterfragbare Beliebigkeit
der Argumentation nach sich ziehen kann. Anders ausgedrückt: Mit dem Jenseits
läßt sich - wie bereits NIETZSCHE wußte - jede beliebige Lüge im Diesseits
begründen.
3.
Das größte Problem des religiösen - auf Gott ausgerichteten - Denkens besteht
meines Erachtens darin, daß dieses Denken stets mit einem ungeheuren Restrisiko
verbunden ist, nämlich mit der Gefahr des religiösen Supergaus,
der einen menschenfresserischen, aggressiven Fundamentalismus/Fanatismus
freisetzt. Die Argumentation gegen die Religion gleicht in vielerlei
Hinsicht der Argumentation gegen die Nutzung der Atomkraft: Auf der einen Seite
haben Religion und Atomkraft unbestreitbare Vorteile. Sorgt die Atomkraft für
billigen Strom und damit für viele Vorzüge des modernen Lebens, so verschafft
Religion existentielle Geborgenheit, indem sie - sofern sie intakt ist - wie
ein Fels in der Brandung den Sinnkrisen und allgemeinen Verunsicherungen
unserer Zeit widersteht. Auf der anderen Seite aber sind Religion und Atomkraft
mit ungeheuren Sicherheitsrisiken verbunden, die schwerlich vertretbar sind.
Verlieren wir nämlich die Kontrolle über Religion und Atom, sind die Folgen in
der Regel tödlich, die Zahl der Opfer gewaltig. (Zugegeben: Der hier bemühte
Vergleich hinkt ein wenig - und zwar zugunsten der Religion: Angesichts der
Anhäufung katastrophaler, religiöser Supergaus in Geschichte und Gegenwart, muß
nämlich das Restrisiko von Atomunfällen - ohne seine schrecklichen Folgen
verharmlosen zu wollen (Tschernobyl!!) - im Vergleich zu den leider in keiner
offiziellen Statistik erfaßten „Religionsunfällen“ als weitaus geringer
angesehen werden.) Nicht umsonst zieht sich die Blutspur der Religionen wie ein
roter Faden durch die Geschichte der Menschheit. Und ein Ende des religiös
motivierten Schreckens ist nicht in Sicht. Eher das Gegenteil. Kaum ein Tag, an
dem die Nachrichtenagenturen nicht von eskalierenden Konflikten zwischen AnhängerInnen verschiedener Glaubenssysteme berichten
müssen. Aufmerksame BeobachterInnen konnten bereits
vor einigen Jahren feststellen, daß sich das Schreckgespenst des religiösen
Fundamentalismus allmählich und todbringend wie ein Krebsgeschwür über den
gesamten Erdball ausbreitet. Auch innerhalb des Christentums hat sich - allen
Kirchenvolksbegehren zum Trotz - ein starker Trend hin zum Fundamentalismus
entwickelt. Fundamentalistische Organisationen wie Opus Dei besetzen zunehmend
Machtpositionen und lassen keinen Zweifel daran aufkommen, daß sie zur Rettung
ihrer Ideologie i m Notfall auch „heiligen Zwang“ anwenden werden. Und das
besonders Alarmierende daran: Man kann diesen christlichen FundamentalistInnen
nicht einmal mit dem Argument entgegentreten, daß ihr Denken und Handeln gegen
den authentischen Geist des Christentums verstößt, denn die Inhumanität der
christlich-fundamentalistischen Organisationen ist ein adäquater Ausdruck jener
Inhumanität, die wir bereits in der unantastbaren, heiligen Schrift des
Christentums, der Bibel, finden.
Damit
sind wir auch schon beim zweiten Teil angelangt, der die Frage beantworten
soll, warum speziell der christliche Gottesglaube problematisch ist.
2.Teil:
Warum speziell der christliche Gottesglaube problematisch ist
Der
Freiburger Entwicklungspsychologe Franz BUGGLE, der in einer bewundernswert
klaren und detailreichen Studie die Kernteile der christlichen Bibel (also die
fünf Bücher Mose, die Psalmen, das Buch Jesaia sowie insbesondere das gesamte Neue Testament)
auf ihren ethischen Wert hin untersucht hat, kam zu dem Ergebnis, daß die Bibel
und damit die basale, ethisch/religiöse Quelle des
Christentums, „zutiefst inhuman“ sei, weil sie einen Gott als Vorbild
propagiert, „der Eroberungskriege inklusive der ausdrücklichen Hinschlachtung
von Kindern, Frauen und Greisen befiehlt, der eine inhuman grausame Blutjustiz
immer wieder eindringlich fordert und die extrem grausame Hinrichtung seines
eigenen Sohnes als Sühneopfer ausd rücklich wünscht, der Minderheiten wie etwa Frauen und
Sklaven extrem diskriminiert, der die Ausrottung Andersgläubiger befiehlt,
Geisteskrankheit auf Besessenheit zurückführt oder ewige (!) Höllenqualen androht...“
(1)
Wie
gesagt, BUGGLE bezieht sich in seiner Analyse nicht nur auf das Alte Testament,
dessen autoritär- gewaltverherrlichende Grundtendenz mittlerweile bekannt sein
dürfte. Nein, BUGGLE bezieht sich in seinem Urteil über die Grundlagen des
Christentums ausdr ücklich
auch auf das Neue Testament, das - einem hartnäckigen Vorurteil zum Trotz -
keineswegs nur ein Aufruf zu Friedfertigkeit und Feindesliebe ist. So verkündet
der wiederauferstandene Christus in der Offenbarung des Johannes:
„Wer
siegt und bis zum Ende an den Werken festhält, die ich gebiete, dem werde ich
Macht über die Völker geben. Er wird über sie herrschen mit eisernem Zepter
und sie zerschlagen wie Tongeschirr; (und ich werde ihm diese Macht geben,)
wie auch ich sie von meinem Vater empfangen habe [...]“ [kursiv im Original]
(2)
Auch
in den Evangelien zeigt der mythische Jesus als Erfüllungsgehilfe seines
traditionell rachsüchtigen Vaters wenig Erbarmen mit Andersdenkenden,
Andersgläubigen. So heißt es unmißverständlich im Markusevangelium:
„Wer
glaubt und sich taufen läßt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird
verdammt werden“ (3)
Die
Brutalität dieser Drohung den Anders- oder Nichtgläubigen gegenüber ist erst
dann zu ermessen, wenn man weiß, was es bedeutet, vom Menschensohn verdammt
werden! Verzeihen Sie mir die Formulierung, aber ich finde keinen besseren Vergleich:
Auf die Verdammten wartet nämlich eine Art himmlisches Auschwitz:
„Der
Menschensohn wird seine Engel aussenden, und sie werden aus seinem Reich alle
zusammenholen, die andere verführt und Gottes Gesetz übertreten haben, und
werden sie in den Ofen werfen, in dem das Feuer brennt. Dort werden sie heulen
und mit den Zähnen knirschen.“ (4)
Nur
ein Ausrutscher, eine singuläre, unglückliche Metapher? Nein: Nicht einmal zehn
Verse später findet sich noch einmal die gleiche, pyromanische Vorstellung von
einer sauberen Endlösung der Ungläubigenfrage. In Mt
13,49-50 werden die Engel abermals mit der Selektion an der himmlischen Rampe
beauftragt, wo sie „die Bösen von den Gerechten trennen und in den Ofen werfen,
in dem das Feuer brennt“, so daß sie „heulen und mit den Zähnen knirschen.“
Selbst
in der Bergpredigt, der viel gerühmten, viel zitierten, aus der die
humanistischen TheologInnen ihre wichtigsten Argumente
beziehen, finden sich solche - auf infantiler Gewalt- und Machtphantasie
beruhenden - radikal inhumanen Strafandrohungen, „deren unheilvolle, psychisch
verheerende Wirkung in der Geschichte des Christentums auf unzählige Menschen
gar nicht übertrieben werden kann.“ (5) So wird im Rahmen der ansonsten recht
humanen, progressiven Bergpredigt, das eigentlich harmlose, versteckte,
lüsterne Betrachten einer verheirateten Frau, auf eine Weise interpretiert, die
jedes FundamentalistInnen-Herz vor Entzückung höher
schlagen läßt:
„Wenn
dich dein rechtes Auge zum Bösen verführt, dann reiß es aus und wirf es weg!
Denn es ist besser für dich, daß eines deiner Glieder verlorengeht, als daß
dein ganzer Leib in die Hölle geworfen wird“ (6)
In
der Parallelstelle im Markusevangelium werden die Rachegelüste des Gottessohnes
noch deutlicher:
„Wer
einen von diesen Kleinen, die an mich glauben, zum Bösen verführt, für den wäre
es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer geworfen würde.
Wenn dich deine Hand zum Bösen verführt, dann hau sie ab; es ist besser für
dich, verstümmelt i n das Leben zu gelangen, als mit zwei Händen in die Hölle
zu kommen, in das nie erlöschende Feuer. Und wenn dich dein Fuß zum Bösen
verführt, dann hau ihn ab; es ist besser für dich, verstümmelt in das Leben zu
gelangen, als mit zwei Füßen in die Hölle gew orfen zu werden. Und wenn dich dein Auge zum Bösen verführt,
dann reiß es aus; es ist besser für dich, einäugig in das reich Gottes zu
kommen, als mit zwei Augen in die Hölle geworfen zu werden, wo ihr Wurm
nicht stirbt und das Feuer nicht erlischt.“ [kursiv im Original] (7)
BUGGLE
kommentiert sehr richtig:
„Man
versuche, sich von aller Gewöhnung durch religiöse Erziehung einmal frei und
sich hier klar zu machen, was eine Drohung mit ewig dauernden extremen
Qualen psychologisch bedeuten muß; dagegen verblassen alle sonst bekannten
Folterungen und Strafen, wei l diese immerhin
zeitlich endlich sind. Bei aller Anerkennung der positiven Züge Jesu (und bei
aller Schonung der Gefühle von Gläubigen): Kann ein ethischer und religiöser
Lehrer, der solche Strafandrohungen wie selbstverständlich heranzieht und mit
ihnen umgeht, der solche Strafphantasien offenbar unproblematisch akzeptiert
oder entwickelt, kann ein solcher Mann heute noch als Verkörperung des absolut
Guten, der absoluten Liebe, als Gott verkündet werden?“ (8)
Diese
Frage ist eine rein rhetorische. In Anbetracht der zitierten Belege, die
mühelos erweitert werden könnten, ist evident: Der biblische Jesus, der in
größenwahnsinniger, narzißtisch-totalitärer Manier seine Lehre gegen jegliche
Kritik immunisierte und all jenen, die nicht seiner Meinung waren, ewige
Höllenqualen androhte, kann in seiner Ganzheit kein Vorbild für heute
sein. Ja, wir müssen feststellen, daß der vielbeschworene „Geist Jesu Christi“
in vielen Punkten keineswegs kompatibel ist mit der Idee des Humanen, womit
sich die prinzipielle Frage stellt, was denn im Streitfalle der zentrale
Bezugspunkt der Christen ist: die Idee des Humanen oder der Geist Jesu
Christi.
Vor
dieses Grundproblem, das sich in der Frage fassen läßt: Wie kann ich Humanist
sein und gleichzeitig dem Vorbild Jesu folgen?, sehen sich - auch wenn die
meisten es selbstverständlich nicht wahrhaben wollen - sämtliche human denkende
ChristInnen gestellt. Für sie gibt es - sofern sie HumanistInnen und ChristInnen
bleiben wollen - idealtypisch nur einen einzigen Ausweg aus dem hier
dargestellten Dilemma, nämlich den Weg der intellektuellen Unredlichkeit.
Intellektuell unredlich ist dieser Weg, weil hier nicht mehr kritisch den
Ursprüngen, Wegen und Irrwegen, Stärken und Schwächen des Christentums nachgeforscht
wird, sondern diese Ursprünge schöngeredet, die Irrwege und Schwächen kaschiert
und selbst das offensichtlich Inhumane auf eine Art und Weise umwolkt wird, daß es kaum noch in seiner eigentlichen,
menschenfresserischen Substanz zu erkennen ist. Dank eines ungeheuren, rational
nicht nachvollziehbaren, exegetischen Salto mortale gelingt es theologischen HumanismusakrobatInnen, christliche Humanität selbst da
noch zu erkennen, wo gegen jegliches Mindestmaß von Humanität auf´s scheußlichste verstoßen wird. Hierfür muß die Bibel
selbstverständlich - auf Teufel komm raus (im wahrsten Sinne des Wortes!) - so
sehr gegen den Strich gebürstet werden, daß jedem unbefangenen Beobachter die
Haare zu Berge stehen. Da wird aus Unsinn plötzlich Sinn und aus Leid plötzlich
Freude, da verklärt sich das Verbrechen zur Heldentat und das Joch zum Siegessymbol.
Kurzum: Da versetzt Glaube nicht nur Berge, sondern auch unbefangene
Beobachter in fassungsloses Erstaunen angesichts einer solch virtuosen
Unredlichkeit der Deutung, hinter der wohl eine nicht eingestandene Selbstsäkularisierung
des Christentums zu vermuten ist .
Aus
Zeitgründen breche ich an dieser Stelle meine Auseinandersetzung mit dem
christlichen Gottesglauben ab und komme zum 3. Teil meines Vortrags, zu meinem
Resümee.
3.
Resümee
Für
viele konsequente Humanisten und Humanistinnen steht fest, daß es in Anbetracht
des fortschreitenden Fundamentalismus von absoluter Dringlichkeit ist, auf
einen Prozeß weltweiter, religiöser Abrüstung hinzuwirken, ohne die ein
friedliches Zusammenleben der Menschen kaum möglich sein wird. Bei der
anstehenden, wichtigen Aufgabe der Dekonstruktion der Religionen ist aber
dringend darauf zu achten, daß die wertvollen, nichtreligiösen Bestandteile der
Religionen nicht verloren gehen. Es geht hier also um eine wahrhaft dialektische
Aufhebung, nicht um eine plumpe Zerstörung von Religion, d.h. es geht wesentlich
auch um eine Weiterführung ihrer humanen Aspekte, die bei der
notwendigen Negation ihrer inhumanen Nebenwirkungen nicht übersehen
werden darf. In der Sprache des obigen Bildes ausgedrückt : Wir brauchen
nicht nur eine weltweite religiöse Abrüstung, sondern auch eine weltweite
religiöse Umrüstung, eine weltweite religiöse Konversionpolitik,
die darauf abzielt, das potentiell Lebensdienliche, das in jeder religiösen
Tradition zu finden ist, vom Lebensfeindlichen zu trennen und in die
nichtreligiöse, agnostische, auf das Menschliche beschränkte und daher
weitgehend restrisikofreie Umgebung zu verpflanzen.
Ein
besonders wichtiger, aber auch besonders schwieriger Bereich ist hierbei der
Bereich der Mystik. Erinnern wir uns: Die agnostische Position, die ich hier
darstelle, schließt nicht prinzipiell die Möglichkeit der Existenz eines Gottes
/ einer Göttin oder mehrerer GöttInnen aus. Sie sagt
lediglich, daß wir, wenn wir von Gott sprechen, nur von unserer Konstruktion
eines Gottes sprechen können (nicht von dem Gott, wie er (oder sie?)
möglicherweise „an sich“ - also losgelöst von unserer Wahrnehmung - existieren
mag). Eben darum stellt es ja einen nicht hinzunehmenden Verstoß gegen die
Gleichberechtigung dar, wenn ein Mensch behauptet, daß seine Argumentation
durch eine durch Offenbarung erfahrene höhere Instanz (Gott) legitimiert ist.
Das
aus dieser Erkenntnis resultierende Verbannen Gottes aus dem Bereich der
öffentlichen, politischen Diskussion (eine verschärfte Form des jüdischen
Bilderverbots) bedeutet jedoch nicht, daß es nicht wünschenswert wäre, daß das
Individuum sich den zentralen Fragen der Mystik stellt und über ein Leben nach
dem Tod, die Existenz eines metaphysischen Weltensinns, die Existenz von GöttInnen etc. spekuliert. Wenn es dem Individuum gut tut,
dies zu tun, und zudem keine Abnahme der Bereitschaft zum Kampf für humanere
Verhältnisse erfolgt, so ist metaphysisches Spekulieren und Träumen - egal ob
es allein oder in einer Gruppe erfolgt - legitimiert. Angesichts der unbestreitbaren
Stärke des Bedürfnisses des Menschen, seinen Alltag durch „Flowerlebnisse“
zu überschreiten, wäre von einer freien und humanen Kultur sogar zu fordern,
daß sie „mystische Nischen“ errichtet, in denen sich die Menschen ohne Gefahr
zeitweise von der limitierenden, reglementierenden Vernunft befreien können.
Aber: Aus der Mystik, dem System von Fragen, darf keine Religion, kein
gesellschaftlich relevantes oder gar bestimmendes System von Antworten werden.
Außerhalb der mystischen Nischen ist transzendentale Enthaltsamkeit
angesagt, oder - wie es Adorno formulierte: „äußerste Askese jeglichem
Offenbarungsglauben gegenüber, äußerste Treue zum Bilderverbot, weit über das
hinaus, was es einmal an Ort und Stelle meinte.“ (9) Mit anderen Worten: Wir
sollten zwar mit aller Kraft darauf hinwirken, daß das bei DemagogInnen
zur Bekräftigung der eigenen Position beliebte Herbeizitieren eines
vermeintlich göttlichen Willens bei den Zuhörenden kein ehrfürchtiges
Erzittern, sondern heftigste Lachsalven auslöst. Wir sollten aber auch zu
verhindern versuchen, daß ein plumper Materialismus an die Stelle der
traditionellen Religion tritt. Dieser würde nämlich wichtige menschliche
Bedürfnisse negieren und dadurch den FundamentalistInnen
Trümpfe an die Hand geben, die sie zu gegebener Zeit hemmungslos nutzen würden,
um verlorengegangenes Terrain zurückzuerobern.
Ich
komme zum Schluß: Ich glaube daß es unumgänglich ist, die Religionen heute
konsequent auf den Prüfstand zu stellen. Welche Elemente der Religionen können
wir weiter verwerten? Was müssen wir im Sinne einer humaneren Kultur fallen lassen?
Ich bin der Meinung, daß wir die reichen, kulturellen Schatzkammern der
Religionen (ich erinnere hier nur an die wunderbare Tradition christlicher
Musik, die von der Musik des Mittelalters, über Palestrina,
Bach, und Bruckner bis zu Arvo Pärt
heute reicht) nutzen sollten, aber wir sollten endlich lernen, bei all dem
Gott aus dem Spiel zu lassen! In einer Zeit nämlich, in der tagtäglich
Zehntausende verhungern, in der die Zerstörung der Natur zunehmend
katastrophale Dimensionen annimmt, brauchen wir - dringend wie nie zuvor - ,
eine einheitliche und solidarische Weltkultur, die von Offenheit
geprägt ist - und nicht von Offenbarung, eine Kultur, die den
Menschen dient - und nicht zweifelhaften, von Menschen geschaffenen Göttern.
Die Geschichte lehrt uns, daß diejenigen, die besonders stark bekundeten, daß
Gott auf ihrer Seite steht, stets auch diejenigen waren, die besonders fern den
Menschen waren. Ich denke, wir sollten uns im Namen der Menschlichkeit
endgültig von der immer wieder mißbrauchten Vokabel „Gott“ verabschieden.
Das aber verlangt, daß wir lernen, die existentielle Verunsicherung zu
ertragen, die mit einem Leben ohne Gott unbestreitbar verbunden ist. Wir müssen
z.B. lernen, die Möglichkeit zu ertragen, daß der Tod vielleicht wirklich das definitive
Ende ist. Mit anderen Worten: Es muß uns gelingen, den Gedanken an unsere
eigene Endlichkeit auch ohne verbindliche religiöse Rückversicherungen zu
ertragen. Der religiöse Schrecken wird nämlich erst dann ein Ende haben,
wenn das Ende für uns ohne Schrecken ist.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Anmerkungen:
(1) BUGGLE, Franz:
Denn sie wissen nicht, was sie glauben. Oder warum man redlicherweise nicht mehr
Christ sein kann. Reinbek b. Hamburg 1992, S. 33
(2) Offb,2,26-28 (Alle Bibelzitate folgen dem Text der sog.
Einheitsübersetzung)
(3) Mk 16,16
(4) Mt 13,41-43
(5) BUGGLE 1992, S.98
(6) Mt 5, 29
(7) Mk 9, 42-48
(8) BUGGLE 1992, S. 98
(9) ADORNO, Theodor W.: Stichworte. Frankfurt/M. 1969, S.29